Trendsport:Flips auf Marmor

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Pacel und Ali Khachab wollen sich für die olympischen Spiele qualifizieren - für das Skateboardteam von Libanon. Die jungen Münchner erhoffen sich damit, in ihrer Heimat eine bessere Infrastruktur für Skater zu schaffen

Von Rita Argauer

Pacel (rechts) und Ali Khachab skaten oft im Olympiapark. Sie haben dort eine Skateboardschule. (Foto: Studio Pi Chi)

Wie ein sehr großer Wurm zieht sich eine auf Holzgerüste gestützte Bahn durch den Olympiapark. Dort oben auf einem der vielen Hügel beginnt sie und endet unten am See. Dazwischen viele Kurven, einige Rampen, ein paar "Bowls", also Ausbuchtungen, und ein Wassergraben. Pacel Khachab steht ganz oben, stürzt sich mit seinem Skateboard immer wieder hinunter, abschnittweise. Denn spätestens beim ersten Hindernis fällt er hin. Er steht auf, probiert es wieder, bis er weiß, wie er mit seinem Skateboard auf einem Geländer entlang schlittern kann, nur um danach, im nächsten Abschnitt, in der Bowl, zu scheitern.

"Hinfallen gehört dazu, Scheitern ist beim Skaten das Normalste", sagt er, gut zwei Monate später, auch im Olympiapark. Der Holzwurm, der dort für die Extrem-Sport-Festspiele "Munich Mash" aufgebaut wurde, ist mittlerweile wieder abgebaut. Doch neben der BMW-Welt, direkt bei der U-Bahn-Station ist ein kleiner Skatepark. Ein paar Rampen auf einer asphaltierten Fläche, die so etwas wie die zweite Heimat der Brüder Pacel und Ali Khachab ist. Sie wurden vor 24 beziehungsweise 27 Jahren in München als Söhne libanesischer Eltern geboren und planen derzeit, sich für den Libanon für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio zu qualifizieren. Im Skateboarden. Denn die ehemalige US-amerikanische Subkultur entwickelt sich derzeit zu einer etablierten Sportart. 2020 wird Skateboarden zum ersten Mal olympische Disziplin.

Pacel und Ali Khachab besitzen sowohl die deutsche als auch die libanesische Staatsbürgerschaft. Sie interessieren sich nicht für die olympischen Spiele, sondern für das Skateboarden in all seinen Facetten. Und der offensichtlichste ist da erst einmal der lokale Aspekt: das Skateboarden in München. Vor vier Monaten haben sie auf dem kleinen Skateplatz im Olympiapark die Olympiaskateschule eröffnet. Aufgewachsen sind sie in der Nähe des Goetheinstituts in der Dachauer Straße, dort im Olympiapark begannen sie vor etwa 14 Jahren selbst mit dem Skaten. Autodidaktisch. Denn so etwas wie Skateschulen gab es damals noch nicht.

Das kommt gerade erst auf, auch, weil man mittlerweile immer mehr versteht, wie positiv sich Skaten auf die Entwicklung von Jugendlichen auswirken kann. Etwa durch die vielen Stürze. Pacel beobachtet das bei seinen jungen Skateschülern: "Am Anfang weinen sie", sagt er, aber: "Das Aufstehen prägt sie." Genauso wie das anschließende Erfolgserlebnis. Denn nach ihren Kursen könne jeder Teilnehmer einen kleinen Sprung auf dem Board, sagt Ali. Denn: "Skaten kann jeder."

Ali und Pacel lieben das Skaten, seit sie zehn und 13 Jahre alt sind. Pacel, der jüngere, kam über seinen älteren Bruder zum Skateboarden. Der hatte damals einen Katalog mit Skateboards in die Hände bekommen, "noch nicht im Internet, einen, bei dem man per Post bestellen musste", und besorgte sich dann ein Board. Eigentlich haben die beiden Brüder Fußball gespielt, Pacel eine Zeit lang sogar recht professionell in den Jugendmannschaften von TSV 1860 München und Unterhaching. Doch das Skateboarden hat ihn mehr fasziniert: "Einmal ist sein Trainer von Unterhaching zu uns nach Hause gekommen und wollte ihn abholen, weil er nicht zum Training erschienen ist", erzählt Ali. Pacel aber habe nicht zum Fußballspielen gewollt. "Ich wollte viel lieber skaten gehen", sagt er.

Diese Liebe ist geblieben. Gerade hat Pacel, der empirische Kulturwissenschaften und Soziologie an der LMU studiert, eine Studienarbeit zum Thema "Skatetourismus in Barcelona" geschrieben. Pacel, der noch mehr Locken hat als sein Bruder, kann dann auch recht schnell und ausführlich über das Skaten und seine soziologischen Funktionen im urbanen Raum sprechen. Im Praktischen sind sich die beiden Brüder darüber sowieso sehr einig: Das Skaten auf dem Skateplatz ist immer nur ein Training und ein Üben. Das richtige Skaten ist das "Streetskaten", also auf den Straßen, im urbanen Raum, in verschiedenen Städten, wo man sich die "Spots", also die Orte, selbst suchen und die Grabs, Flips und anderen Tricks selbst ausdenken muss. Denn da ist Skaten individuell und verlangt Kreativität. Man muss sich genau überlegen, welche Bordsteinkante, welches Geländer oder welche Stufe man wie für den Sport nutzen kann.

Jeweils von Donnerstag bis Samstag bieten Pacel und Ali ihre grundlegenden Kurse dafür an. Für Erwachsene oder auch für Mädchen, die sich manchmal nicht in eine Jungstruppe trauen, geben sie auch Einzelkurse. Kinder und 50-Jährige, alle Geschlechter und Altersgruppen lernen bei Pacel und Ali, sowie Dominik Fürmann und Robin Grombach, zwei weitere Münchner Skater, die sie unterstützen.

Denn es läuft gut, ihre Kurse sind gefragt. Die Profiboards und vor allem auch die Schutzausrüstung stellen sie ihren Teilnehmern, mittlerweile werden sie von einem Münchner Skateshop und einer Skateboardmarke als Sponsor unterstützt. Jetzt, wenn der Herbst kommt, werden sie mit ihren Rampen in Sporthallen umsiedeln, damit sie keine Winterpause machen müssen.

Davon, so zu springen, wie das Pacel und Ali in ihrer Freizeit machen, sind ihre Schüler weit entfernt. Doch darum geht es auch nicht: "Im Skaten gibt es keine Konkurrenz", erklärt Pacel, der Idealist, und das will er auch seinen Schülern vermitteln: "Skaten steht für Offenheit und Respekt."

Ein wenig konträr dazu steht trotzdem die zunehmende Versportlichung des Skateboardfahrens, die jetzt mit Olympia noch einmal zunehmen dürfte. Ali und Pacel mögen die Aufmerksamkeit, die ihr Sport nun erfährt. So seien etwa die Polizisten in jüngster Zeit viel netter, sagen sie. Die Skater würden nicht mehr gleich von jeder Treppe, die sie in der Stadt herunterspringen, vertrieben. Aber auch politisch tut sich etwas: "Die Stadt interessiert sich plötzlich dafür", sagt Ali, so soll etwa ihr alter Skateplatz im Olympiapark nun vergrößert werden. Die beiden Brüder seien sogar in die Gestaltung des neuen Platzes mit einbezogen worden. Andererseits enthebt Olympia das Skaten seinem subkulturellen Status. Die Kommerzialisierung wird vorangetrieben, der Konkurrenzkampf auch.

Doch Ali und Pacel wollen das Positive daran sehen. Etwa für den Libanon. "Beirut ist eine der besten Skate-Städte der Welt", sagt Pacel, "weil es dort viel Marmor gibt." Auf Marmor fährt es sich gut. Doch: "Im ganzen Libanon gibt es keinen einzigen Skatepark und nur einen Skate-Shop", sagt Ali. Der sei sauteuer und direkt neben Gucci - kein normaler Typ gehe da rein. Falls es mit ihrer Olympia-Qualifizierung klappt, wollen sie die damit gewonnene Aufmerksamkeit auch nutzen, um im Libanon eine bessere Infrastruktur für Skater zu schaffen; und vielleicht dort irgendwann eine Dependance ihrer Skateschule eröffnen.

© SZ vom 03.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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