Tollwood-Festival eröffnet:Die Hex' ist tot und gut rasiert

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Nichts für kleine Kinder: Tollwood zeigt Humperdincks "Hänsel und Gretel" als Oper für Erwachsene. Damit startet das Winter-Festival auf der Theresien-Wiese. Wo im Oktober das Bier fließt, ist jetzt Glühwein angesagt. Und ein Riesen-Rummel - samt Bikini-Mädchen, mitten im Winter.

Klaus Kalchschmid

Und los geht's: Am Mittwoch Abend wurde das Winter-Tollwood-Festival eröffnet. Hier die Bildergalerie mit Infos zum Geschehen - und die Kritik zur Premiere von "Hänsel und Gretel" im Opernzelt.

Freigegeben ab 16 Jahre: So sollte eigentlich der Hinweis für "Hänsel und Gretel" bei Tollwood auf der Theresienwiese lauten - ähnlich wie auch das Theater Erfurt eine Version von Engelbert Humperdincks Oper "nur für Erwachsene" anbietet, parallel zu der ganz klassischen.

Keine Frage: Märchen und Oper lassen sich tiefenpsychologisch deuten, der Besen, mit dem der Vater fuchtelt, als Phallus verstehen, das Häuschen, an dem die Kinder knuspern, als wallendes weißes Kleid der Hexe bebildern.

Auch die Idee von Regisseur Sebastian Hirn, das Geschehen der Initiation eines Geschwisterpaars jenseits der Zivilisation anzusiedeln, gleichsam oberhalb der Baumgrenze oder - wie die bis fast unter das Zeltdach mattschwarz sich wölbenden Hügel auch zu deuten sind - in der Todeszone unterhalb eines Vulkankraters: Das überzeugt grundsätzlich.

Faszinierend unheimlich auch der Beginn mit einem Dutzend Sensen-Frauen, die nichts Gutes verheißen. Doch irgendwann erschöpft sich die (Sexual-)Symbolik, und zwischen Beinrasur und Entkleidung, Menstruationsblutung und Missbrauch wünscht man sich ein wenig mehr suggestive Beleuchtung als durchweg diffuses Graulicht.

Muttermonster zum Fürchten

Der musikalische Eindruck fällt ähnlich disparat aus. Zwar hat die Reduktion eines romantisch üppigen Orchesterklangs durch Helga Pogatschar auf das Zusammenwirken von Akkordeon, Blockflöte, Klavier, Cello, Bass, Hackbrett, Klarinetten und Schlagzeug unter Leitung von Eva Pons seinen anfänglichen Reiz, denn es korrespondiert mit der Kargheit der Szene und der Schonungslosigkeit der Inszenierung. Doch zunehmend vermisst man eigenständige Akzente und Farben, die man mit dieser Instrumentierung erzielen könnte.

Nur in der Hexenszene schleichen sich endlich ein paar Dissonanzen ein, darf die Klarinette gequält quäken. Da vergisst man endlich den Breitwand-Sound über Lautsprecher, mit dem die Tontechniker aller Reduktion zuwider handeln und es auch den exzellenten Sängern nicht leicht machen.

Dabei sind Iris Julien (Hänsel) und Aki Hashimoto (Gretel) ein famos singendes und harmonierendes Geschwisterpaar, gibt Annerose Hummel ein gestrenges Muttermonster zum Fürchten, und Yo Chan Ahn einen Vater, bei dem der jungmännliche Testosteron-Schub jede Faser seines Körpers erfasst hat und ihn leidenschaftlich und erotisch singen lässt.

Bleibt daneben das sinnliche Erlebnis des Wald-Banketts der Starköchin Sarah Wiener. Und wenn's schon auf der Bühne keine Lebkuchen zu sehen gibt, so zumindest am Tisch eine entsprechende Mousse für den Gaumen.

© SZ vom 1.12.2006/sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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