Technische Universität:Alles muss raus

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Als Wolfgang Herrmann TU-Präsident wurde, besaß die Universität auf dem Campus Garching wenig mehr als das Atom-Ei und die Fakultäten für Physik und Chemie. Heute ist der Campus der größte Standort der TU München - und noch immer eine Baustelle

Von Jakob Wetzel

Wenn ihn einer malen wollte, den Campus der Technischen Universität (TU) in Garching, dann bräuchte er dafür hauptsächlich die Farben Grau und Braun. Grau für die Betonwände, für die mit Metall verkleideten Fassaden und für den Asphalt. Und Braun für all die Baugruben, die sich dort auftun, für den Lehm, für die Spundwände und für die Haufen von Sand.

Es wird gebaut in Garching. Im Zentrum des Campus' entsteht auf etwa 10 000 Quadratmetern eine "Neue Mitte" mit Hörsälen, Kongresshalle, Büros und einem Hotel. Wenige Meter östlich davon, unmittelbar am "Atom-Ei", dem alten, stillgelegten Forschungsreaktor, sind ebenfalls Bagger zugange. Dort wird ein altes Physik-Gebäude abgerissen, um Platz zu schaffen für die Produktion von Molybdän-99, einem wichtigen Isotop für die Nuklearmedizin. Nördlich davon wird ein Laserzentrum gebaut, das die TU und die Ludwig-Maximilians-Universität gemeinsam nutzen wollen, außerdem eine neue Mensa. Nebenan ist gerade ein Chemie-Gebäude fertig geworden, die Einweihung steht bevor. Und im Westen davon entsteht seit diesem September ein neues Haus für die Kernspin-Resonanz-Spektroskopie. Die TU wächst, und der Garchinger Campus verändert sein Gesicht, einmal mehr. Und mittendrin, zwischen all diesen Baustellen, steht Wolfgang Herrmann, der Steuermann.

Seit Oktober 1995, also seit 20 Jahren, ist Herrmann Präsident der TU. Doch die Universität von damals ist mit der von heute kaum noch zu vergleichen. Die Zahl der Studierenden ist um 107 Prozent auf etwa 38 000 gestiegen, das Professorenkollegium in der gleichen Zeit um immerhin ein Drittel auf 520 angewachsen. Die Zahl der weiblichen Professoren stieg um mehr als den Faktor elf von sieben auf 88. Und rechnet man alles Geld zusammen, das unter Herrmann in TU-Bauten gesteckt worden ist, dann kommt man auf fast zwei Milliarden Euro - 1,7 Milliarden davon wurden allein in Garching verbaut.

Wie sich die Dimensionen der Universität verschoben haben, zeigt sich nirgendwo so eindrucksvoll wie auf diesem Campus. Es ist ein Montagmorgen, Präsident Herrmann steht auf der Terrasse des "Fellows Club" im vierten Obergeschoss des 2011 in der Mitte des Campus' errichteten "Institute for Advanced Study", und er sieht hinab auf sein Baustellenreich. Das Institut ist aus der Exzellenzinitiative heraus entstanden, es soll Forscher der TU und der Industrie sowie ausgewählte Studierende zusammenbringen und fördern. Rein baulich aber ist es nicht zuletzt eins: ein hervorragender Aussichtspunkt.

"Als ich angefangen habe als Präsident, gab es hier nur die Gebäude von den Physikern, die Chemie und die Mensa", sagt Herrmann. Und dann erzählt er von seiner Zeit als Chemie-Student an der TU: Damals hätten sich die Professoren in der Fakultät mit Händen und Füßen gewehrt, als es hieß, sie sollten aus der Innenstadt Münchens hinausziehen nach "Garchosibirsk", wie es hieß. Garching - das war ein 1957 in Betrieb genommener Atom-Reaktor im Nirgendwo, daneben ein paar moderne Gebäude und Laboratorien, außerdem noch viel freier Platz, aber kaum Leben.

Campus in grau und braun: Im Zentrum des Campus' entsteht auf etwa 10 000 Quadratmetern eine "Neue Mitte". (Foto: Sonja Marzoner)

Heute ist Garching der größte Standort der TU. Mehr als 12 000 Studierende besuchen hier Seminare und Vorlesungen oder üben als Praktikanten in den Forschungszentren. Auf dem etwa 60 Hektar großen Campus sind derzeit noch fünf, in absehbarer Zeit sechs der 13 TU-Fakultäten angesiedelt: Zur Physik und Chemie kamen mit der Zeit die Fakultäten für Maschinenwesen, Mathematik und Informatik. In Zukunft soll auch die Fakultät für Elektro- und Informationstechnik aus der Münchner Innenstadt nach Norden ziehen, in einen geplanten Neubau, der 270 Millionen Euro kosten soll; der erste Bauabschnitt soll 2020 fertig sein. Und den Campus ergänzen zahlreiche Forschungseinrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft oder auch zum Beispiel der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

Von viel freiem Platz kann hier keine Rede mehr sein. Tatsächlich wird der TU der weitläufige Campus langsam zu eng. Die Fläche wird bislang begrenzt von der Bundesstraße 11 im Westen, von der Stadt Garching im Süden, den Isarauen im Osten und dem Landkreis Freising im Norden. "Wir müssen überlegen, wie es jenseits der B 11 im Westen weitergehen kann", sagt Herrmann. Die Bebauung auf dieser Straßenseite habe kaum noch Lücken.

Das Problem mit dem Mangel an Atmosphäre aber ist geblieben, es verfolgt den Campus seit seinen Anfängen. Die Gebäude sind grau in grau - einziger Farbtupfer ist das 2010 fertiggestellte rot-gelb-weiß-schwarze Exzellenz-Zentrum neben der Fakultät für Maschinenwesen. "Das wollte ich so bunt, damit Leben reinkommt", sagt Herrmann. Dass dieses Leben dennoch kaum spürbar ist, liegt wohl mit daran, dass es auf dem Campus kein Studentenwohnheim gibt, die Studierenden wohnen in der Stadt Garching oder in München. Da könne man nichts machen, sagt Herrmann, Wohnheime dürfe eben nur das Studentenwerk bauen. Seit 2006 führt zumindest eine U-Bahn-Linie nach Garching, und seit demselben Jahr gibt es eine Studierendenkneipe an der Chemie-Fakultät, das C2, benannt nach der Formel für Ethanol, C₂H₅OH, vulgo Alkohol. Hoffnung setzt die TU auf seine "Neue Mitte", das Kongresszentrum "Galileo" mit Gaststätten, Kino, Friseur, Einzelhandel und Konzertsaal. Etwa 160 Millionen Euro soll das Projekt kosten, 2017 soll alles fertig sein. Es soll Leben auf den Campus bringen und die Lücke schließen, die hier geblieben ist, trotz der vielen Neubauten. Im Zentrum sind auch Büros vorgesehen, für wissenschaftsnahe Einrichtungen und Firmen, die TU setzt auf den Kontakt zur Industrie. Wenn nur der Platzmangel nicht wäre, klagt Herrmann. "Ich sehe schon kommen, dass wir das alles selber mieten."

© SZ vom 30.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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