Tatort Theresienwiese:Mord vor dem Nationalrausch

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Die Aufbauarbeiten für das Oktoberfest dienen als Kulisse für den Münchner Tatort-Krimi "A g´mahde Wiesn".

Tobias Matern

Es ist kurz nach elf, Miroslav Nemec ist gerade erst angekommen, aber schon in Rage. "Ich kann ausgehen, mit wem ich will", brüllt er Udo Wachtveitl an. Dessen Konter lässt nicht lange auf sich warten: "Die Stadt ist voller junger Frauen, such' Dir woanders eine", sagt er und zerhackt dabei die Luft mit den Handkanten.

"Ich habe auf unkonventionelle Weise eine Befragung durchgeführt", rechtfertigt sich Nemec. "Willst Du vorzeitig in Pension auf unkonventionelle Weise?", schreit ihn sein Kollege an. Tatjana Krauskopf fährt dem Schauspieler unbeeindruckt durch die Haare, festigt seine Locken mit etwas Schaum.

"Tatort"-Dreh auf der Wiesn, der Arbeitstag für die beiden Hauptkommissare Leitmayr und Batic beginnt mit Schminken. Das ist bei ihnen nicht sonderlich aufwendig. Während die Maskenbildnerin ihre Gesichtskonturen mit ein wenig Farbe nachzieht, üben die beiden Schauspieler den Dialog, den sie an diesem Tag einspielen werden: Leitmayr appelliert an das Polizisten-Ethos seines Kollegen, sich nicht mit einer attraktiven Hauptverdächtigen einzulassen.

Sie trainieren ihren Sprech-Rhythmus, streichen einzelne Wörter, fügen neue hinzu: Feinabstimmung am Skript. Schließlich ist so ein Drehbuch für sie nicht die Bibel - selbst wenn es von Friedrich Ani kommt.

Der Münchner Literat ist Drehbuchautor des Films "A g'mahde Wiesn", den der Bayerische Rundfunk gerade drehen lässt. Mitte September fällt die letzte Klappe, ausgestrahlt wird der Krimi erst 2007 - pünktlich zum nächsten Oktoberfest.

Ein realistisches Motiv, komplett erfunden

"Die Wiesn ist ein riesiger Wirtschaftsfaktor für die Stadt", sagt Wachtveitl, während er in einem karg eingerichteten Wohnwagen auf seinen Einsatz wartet. "Aber wir wollen nicht auf billige Art und Weise den Leuten den Spaß daran verderben, wir wollen einfach einen guten Krimi abliefern."

Den verspricht das Drehbuch. Während der Aufbauarbeiten zum größten Volksfest der Welt findet eine Putzfrau ihren Arbeitgeber tot im Pool. Der Mann war ein einflussreicher Stadtrat, für die Vergabe der Schausteller-Lizenzen auf dem Oktoberfest verantwortlich - und somit gibt es hunderte Verdächtige.

Denn nur ein Bruchteilt der Bewerber kommt zum Zug und erhält damit die "Chance, das ganz große Geld zu verdienen", wie Wachtveitl sagt. Was nach einem realistischen Motiv klingt, ist komplett erfunden, beteuert BR-Redakteurin Silvia Koller.

Der Tontechniker bringt das Funkmikro bei Wachtveitl an. (Foto: Foto: Haas)

Mord beim Wiesnaufbau

Erfunden ist hingegen nicht der Drehort. Drei Wochen vor Wiesn-Beginn sind die Aufbauarbeiten in vollem Gange. Aus dem Augustinerzelt dröhnt die Kreissäge, am Schottenhamel klopfen Bauarbeiter den Bodenbelag fest. Gabelstapler-Fahrer schaffen Bierbänke heran. Genau wie es das Drehbuch vorsieht - während der Aufbauphase geschieht der Mord.

Vor einem kleineren Zelt loten die Kamerlaleute den richtigen Winkel für die Einstellung aus, prüfen die Lichtverhältnisse. Set-Helfer bitten Lkw-Fahrer, ihren Brummi doch bitte außerhalb des Bildes zu parken. Der Tontechniker verkabelt die beiden Hauptdarsteller mit Funkmikrofonen. Die 13 Statisten gehen in Stellung.

Einer von ihnen ist Richard Lettenmayer. Im farbverschmierten Blaumann besteht seine Aufgabe darin, eine überdimenisionierte Plastik-Wurst durchs Bild zu tragen. Schließlich soll der Zuschauer das Gefühl haben, Leitmayr und Batic streiten sich nicht nur vor Originalkulisse (was sie tatsächlich tun), sondern auch vor echten Bauarbeitern. 50 Euro Tagesgage bekommt Lettenmayer für seinen Auftritt.

Der Mörder? Wird nicht verraten

Im Bierzelt gehen Wachtveitl und Nemec inzwischen ihre Änderungsvorschläge mit Regisseur Martin Enlen durch. "Gefällt mir", sagt der nach einer Weile und gibt den Darstellern noch ein paar Tipps, wie sie den Weg zum Auto genau laufen sollen. Kurze Probe, dann sind beide bereit, sich anzubrüllen. Aber das muss warten, am Set sitzt noch nicht alles.

Zeit, um sich selbst auf die Suche nach dem Mörder zu machen. Das ist freilich aussichtslos. Weder Kamera-Praktikanten, Komparsen, Ton-Techniker noch ein Assistent wollen ausplaudern, wer der Täter ist. Entweder erntet man Schulterzucken oder ein mildes Lächeln. Immerhin lässt sich aus sicheren Quellen in Erfahrung bringen, dass so ein Tatort von der Idee über die erste Klappe bis hin zur Ausstrahlung etwa 1,5 Millionen Euro kostet.

Fünf Minuten vor Drehbeginn. Für Pitt Rotter gerät die Welt kurz aus den Fugen. Der Mann, der so gerne Wind macht, bekommt seine Maschine nicht angeworfen. Als Experte für die Spezialeffekte soll er ökologisch abbaubaren Staub aufwirbeln - der dann hinter den Kommissaren durchs Bild fegt. Ein weißes Häufchen Zellulose liegt dafür vor ihm bereit, er zerrt am Anlasser der Windmaschine. "Das können wir momentan gar nicht brauchen", murmelt er.

Gut für Rotter: Der Ablauf verzögert sich noch ein wenig. Kameramann Philipp Timme ist mit dem Licht unzufrieden. Die Sonne verkriecht sich hinter einer Wolke. Als es endlich aufhellt, setzt hektiche Betriebsamkeit ein. Set-Helfer gehen in Stellung, halten die Passanten auf, eine ältere Dame läuft gemächlich aus dem Radius der Kamera, nicht ohne ein "I' will goa net in Euer Buidl" zu giften.

Immer ist irgendwas

Dann gibt Regisseur Enlen das Kommando: "Und bitte", ruft er, setzt die Kopfhörer auf, schaut auf seine kleinen Monitore, die ihm beide Kameraeinstellungen liefern. "Pitt, der Nebel", flüstert Aufnahmeleiter Frank Fuchs in sein kleines Mikrofon. Hinter der Würstchenbude steigt tatsächlich Staub auf - Rotter hat rechtzeitig die Zündkerze gewechselt.

Auftritt der Hauptkommissare, die aus einem Zelt gehastet kommen. Sie beginnen ihren schon in der Maske geprobten Dialog. Drei Stunden sind seitdem vergangen. Einen Film zu drehen heißt für einen Schauspieler auch, warten zu können.

"Schon gar nicht schlecht", sagt Enlen zu seinem Assistenten nach der knapp zweiminütigen Szene. Und lässt sie erneut drehen. Danach nochmal. Fünf, sechs, sieben Mal. Immer ist irgendetwas, eine Kleinigkeit, die aber für die Filmemacher den großen Unterschied ausmacht: Mal sagt Leitmayr "saftiges" statt "knuspriges Hähnchen", mal fährt weit entfernt im Hintergrund, aber eingefangen von der Kamera, ein Auto durchs Bild, mal steht ein Pfeiler um Zentimeter weiter rechts als bei der letzten Aufnahme.

Nach zwei Stunden ist Enlen zufrieden, die Szene sitzt. "Mittagessen" ruft er erleichert. Ein Teil der Crew zieht schon weiter zur Bavaria, Aufbau für die nächste Aufnahme. Noch 17 Drehtage, bis der Fall gelöst sein muss.

© SZ vom 26.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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