SZenario:Wehmut und Weihrauch

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Generationentreffen: die Feiernden, vom heutigen Chef Till Hofmann (links vorne) bis Alterspräsident Dieter Hanitzsch (Zweiter von rechts). (Foto: Julia Müller/oh)

60 Jahre Lach- und Schießgesellschaft: Die deutsche und österreichische Kabarett-Elite zelebriert eine Art Gedenkgottesdienst - in den wieder aufgebauten Kulissen der Originalbühne

Von Thomas Becker

Am Schluss war alles wie immer. Nachts um drei wird der harte Kern aus dem Blauen Haus gekehrt, unter leicht übermütigem Protest, versteht sich, fügt sich in sein Schicksal ("Ziehen wir halt weiter!"), muss dann aber erkennen, dass man halt doch in München-Mitte ist, wo es um diese Zeit verdammt eng wird mit Locations für einen finalen Absacker.

60 Jahre Lach- und Schießgesellschaft, wenn das kein Grund zum Feiern ist! Und so verließen die Lacher und Schießer ihr Schwabinger Habitat, zogen zur Party in die Kammerspiele und bauten dort die eingemottete Originalbühne samt 50er-Jahre-Zuschauerraum auf. Ein wunderbarer Rahmen für einen wunderbaren Abend. Finanziell wird sich der zwar kaum gerechnet haben, denn so viele Freikarten für Gäste und Freunde des Hauses hat Lach- und Schieß-Chef Till Hofmann wohl noch nie verteilt. Er wird es aber mit Freude getan haben, denn heraus kam ein Generationentreffen der besonderen Art. Die deutsche und österreichische Kabarett-Elite, vom 38-jährigen Jungspund Claus von Wagner bis zum 83-jährigen Alterspräsidenten Dieter Hanitzsch, beging einen dreieinhalbstündigen Gedenkgottesdienst, der gar nicht erst vorgab, ohne Wehmut und Selbstbeweihräucherung auskommen zu wollen.

Warum auch? Was das liebevoll-verächtlich "Laden" genannte Kleinsttheater an der Haimhauserstraße in den letzten sechs Jahrzehnten für die Bildung politischen Bewusstseins geleistet hat, ist tausendfach niedergeschrieben. An diesem Abend hatten nun die Künstler das Wort, und fast alle der geschickt zusammengefügten Beiträge hatten eins gemein: Dankbarkeit. Luise Kinseher gelang eine berührende Liebeserklärung: "Sie haben ja keine Ahnung, wie lang ich gebraucht hab', bis ich mal in der Lach- und Schieß auftreten durfte." Der große Werner Schneyer berichtete Herzerweichendes über den am Ende vom Krebs gezeichneten Zampano Sammy Drechsel, und Konstantin Wecker sang seinen "Willy" so eindrücklich wie damals, als Drechsel und Dieter Hildebrandt ihm in den 80ern einst acht Minuten solo im "Scheibenwischer" gewährten.

Ein Abend, bei dem die Künstler auch mal coram publico taten, was sie sonst - wenn überhaupt - höchstens hinter vier bis sieben vorgehaltenen Händen tun: ablästern über die Kollegen. Josef Hader, der einst auf Schneyders Empfehlung im "Laden" debütieren durfte, erzählt von seiner ersten Begegnung mit dem Langen: "Ich hab' irgend so was gestammelt wie: ,Herr Schneyder, ich find' sie auch unglaublich toll!' Er hat wie aus der Pistole geschossen geantwortet: ,Das ist völlig normal.'"

Henning Venske, der herrlich knurrige Miesepeter, erzählte vom Gründungsjahr, nicht ohne der Gegenwart den Spiegel vorzuhalten: "Es gab 1956 noch keine Fotoapparate, mit denen man telefonieren konnte. Damals musste man sich, wenn einem der Sinn nach Kommunikation stand, mit seinen zwei bis drei Freunden - wenn's so viele waren - noch persönlich treffen und ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht führen. Das war ganz schön ätzend."

Hochkomisch die Schoten und Bewegtbilder vom FC Schmiere, jener Fußballmannschaft, die Sammy Drechsel (Autor der Kicker-Pflichtlektüre "Elf Freunde müsst ihr sein", 1955) einst ins Leben gerufen hatte. Drei Minuten wollte Rainer Basedow reden, nach einer Viertelstunde musste ihn Moderator Christian Ehring ("Extra 3") dezent abwürgen. Gesungen wurde auch noch, wie früher oft im Ensemble. Ecco di Lorenzo tanzte seine "Pastinaken-Polka", Pigor & Eichhorn veralberten den Brexit, den wiederum der viel zu früh in den Bühnen-Ruhestand getretene Georg Schramm zum Anlass nahm, die aktuelle politische Situation zu analysieren. Momente, in denen man merkte, was fehlt: aufrechte Typen, die mehr drauf haben als Flachwitze über den IS und die Merkel-Raute. Menschen mit Haltung.

Da sind wir dann zum Glück in der Gegenwart der Lach- und Schießgesellschaft. Max Uthoff und Claus von Wagner sind von klein auf mit ihr sozialisiert, ließen Klaus-Peter Schreiners süffigen Text "Kam ein Gast ins Kabarett" aus dem Jahr 1965 aufleben, trauen sich in der "Anstalt" aber schon längst selbst so einige Unbequemlichkeiten. Und auch das aktuelle Ensemble mit Caroline Ebner, Sebastian Rüger, Frank Smilgies und Norbert Bürger steht in bester Tradition ihrer Vorfahren. Die fein gesponnene Wortspielerei "Wer sind wieder wir" hätten Hildebrandt & Co. auch spielen können, damals, 1956.

Um halb zwölf dann der Abspann. Der zeigt, mit wie viel Liebe die Macher am Werk waren: eine Liste mit (fast) allen, die mal in und für die Lach- und Schieß gearbeitet haben, darunter auch die Traudl, die legendär bärbeißige Bedienung. Die hätte die üblichen Verdächtigen nachts um drei auch weiter geschickt, irgendwann is ja mal Schluss. Von wegen: Der harte Kern wurde nach dem Kehraus im Blauen Haus doch noch fündig. Auf good old Schwabing ist halt einfach Verlass.

Der BR zeigt am 29. Juli ab 20.15 Uhr eine 90-minütige Aufzeichnung des Abends

© SZ vom 29.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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