SZenario:Hollywood und Homöopathie

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Zu Beginn der Dreh-Saison trifft sich die Branche im Park Café. Es gibt ermunternde und ernüchternde Nachrichten - und die Erkenntnis: Oft brauchen Schauspieler ein zweites Standbein

Von Josef Grübl, München

Sollte das viel beschworene "Goldene Zeitalter des Fernsehens" nun tatsächlich in Deutschland angekommen sein, dann ist das Park Café die richtige Adresse, um es zu feiern: Das Gasthaus am Alten Botanischen Garten hat etwa ebenso viele Jahre auf dem Buckel, mehr als 80, wie das Fernsehen, genauso oft hat es sich neu erfunden. Derzeit erstrahlt es in Gold, das richtige Umfeld also für eine Branche in Goldgräberstimmung. Noch nie wurden so viele Serien gedreht wie heute, noch nie konnte sich das Publikum so dafür begeistern. Auch der Gastgeber hat Grund zum Feiern: Die in Unterföhring ansässige neue deutsche Filmgesellschaft (ndF) zählt zu den größten Produktionsfirmen des Landes, auf ihr Konto gehen öffentlich-rechtliche Dauerbrenner wie "Der Bergdoktor" oder "Um Himmels Willen". Das wird gefeiert am Mittwochabend beim jährlichen Empfang zum "ndF-Afterwork".

Auf dem über der Bar platzierten Riesenbildschirm laufen Ausschnitte, das dazugehörige Personal kann man live bewundern: Janina Hartwig und Fritz Wepper zum Beispiel oder "Bergdoktor" Hans Sigl, der schießt Selfies mit seinen Fans, die er umgehend postet. Doppelte Eigenvermarktung, live in München und digital im Netz.

Die Veranstaltung ist als Afterwork-Party deklariert, gearbeitet haben in diesem Jahr bislang aber nur die Wenigsten: Viele Film- und Serienproduktionen starten immer erst nach Ostern. "Im Januar und Februar drehe ich fast nie", sagt Schauspielerin Judith Richter, "insgesamt gibt es im Winter wenig Angebote." Daher schauen sich auch viele Schauspieler nach Alternativen um: "Meine Frau hat heute die Heilpraktiker-Prüfung bestanden", erzählt Joachim Masannek. Der "Wilde Kerle"-Regisseur läuft mit Töchterchen Ann Jolin auf den Schultern durch die Menge, Mama Michelle Monballijn unterhält sich derweil mit Schauspielerkolleginnen. Über Hollywood oder Homöopathie? Auch Jutta Speidel fährt zweigleisig: "Wir bauen gerade ein zweites 'Horizont'-Haus", Schauspielerei und soziales Engagement passen ja seit jeher gut zusammen.

Einfacher wird es für Speidel & Co. nicht, verlangt die Branche doch ein Höchstmaß an Flexibilität. "Es wird momentan viel geschoben", sagt Michaela May, "die Planungszeiten sind sehr unsicher geworden." Schauspielkollege Jonathan Beck bestätigt das: "Eigentlich bin ich bis zum ersten Drehtag skeptisch, ob ein Projekt wirklich zustande kommt." Daran wird sich wohl auch wenig ändern: Gerade wurde bekannt, dass der Bayerische Rundfunk ein Finanzloch in dreistelliger Millionenhöhe angehäuft hat, einer der Hauptauftraggeber der Branche wird also massiv sparen müssen. Derweil wächst die Streaming-Konkurrenz von Amazon und Netflix. Sie kündigt lokale Eigenproduktionen an. Das Goldene Fernsehzeitalter wird am Mittwoch ordentlich gefeiert. Dass es bald wohl vor allem eines mit Netz-Angebot sein wird, stört niemanden. Hauptsache, der erste Drehtag steht.

© SZ vom 18.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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