SZenario:Freiräume zum Atmen

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Picknick in der Pinakothek: Die Gespräche drehten sich um die Kunst, aber auch um das Lebensgefühl in Zeiten von Amokläufen und Terrorgefahr. (Foto: Robert Haas)

Mit Vögelchen und Dürer-Hand: Die Freunde der Pinakothek der Moderne laden bei einer Ausstellung der Brüder Tobias zum Picknick in Weiß

Von Evelyn Vogel, München

Am Ende ist es doch ein stimmungsvolles Fest, bei dem gelacht wird, das aber auch geprägt ist von ernsthaften Gesprächen. Zum zweiten Mal hat Pin, der Verein der Freunde der Pinakothek der Moderne, zu einem "Picknick en blanc" eingeladen und dies mit einer Preview zur neuen Ausstellung "Grisaille" von Gert und Uwe Tobias in der Graphischen Sammlung verbunden. Natürlich habe man überlegt, angesichts der Ereignisse der vergangenen Tage auf das Fest zu verzichten, heißt es aus dem Pin-Vorstand. Aber es sei wichtig, gerade in solchen Situationen "nicht zuzulassen, dass die Freiheit der Kunst beschnitten" werde. "Wir engagieren uns für die Pinakothek der Moderne auch, um der Kunst Freiräume zu schaffen", betont eingangs Dorothée Wahl, die neue Vorsitzende von Pin.

Freiräume der Kunst, das ist denn auch tatsächlich das Stichwort des Abends. Katharina von Perfall, nunmehr stellvertretende Vorsitzende von Pin, weist auf neue Freiräume hin, als sie Michael Hering, den neuen Direktor der Graphischen Sammlung, mit den Worten willkommen heißt: "Da kommt einer aus Dresden und stellt alles auf den Kopf." Offensichtlich weht seit Herings Amtsantritt zu Beginn dieses Jahres frischer Wind durchs Haus. Vor allem aber bezieht sich von Perfalls Bemerkung auf das Resultat der Ausstellung, denn, so von Perfall: "Hering denkt Grafik neu, er holt sie raus aus dem Schubladenformat."

Hering hat den beiden Brüdern Gert und Uwe Tobias, die als Erneuerer der Druckgrafik gelten, wirklich viel Freiraum gewährt. Die beiden haben ihn reichlich genutzt, haben eine sehr ortsspezifische Werkschau geschaffen, für die sich Pin mit Ankäufen bedankt. Was angesichts der Preise, zu welchen die Werke mittlerweile auf dem Kunstmarkt angeboten werden, eine noble Geste ist.

Nun ist die Pinakothek der Moderne, insbesondere der Bereich der Graphischen Sammlung, bekanntermaßen nicht ganz leicht zu bespielen. Die 1973 in Rumänien geborenen Zwillinge, die in Braunschweig studierten und in Köln leben, haben sich die Räume mehr als angeeignet, sie haben sie sich geradezu erobert. Davon zeugt schon der sogenannte Vitrinengang mit den dort ausgestellten ornamentalen Arbeiten, aber auch der hintere Raum mit seinem leicht düsteren Gesamtkonzept. Die Heerscharen weiß gewandeter Gäste bilden dazu einen hübschen Kontrast. In diesem Raum sind auch Keramiken der beiden Grafikkünstler zu sehen, was einen weiteren Hinweis darauf gibt, inwieweit Freiräume auch in einer sehr alten Kunstgattung gedacht werden können, wenn man ihnen denn den Freiraum lässt.

Den größten Zuspruch an diesem Abend finden die großformatigen Holzschnitte, die der Ausstellung den Titel geben. "Grisaille", das ist eigentlich die Kunst der Grau-in-Grau-Malerei. Es ist vor allem aber die Kunst, die Monochromie nicht fahl oder gar fad erscheinen zu lassen. Die Tobias-Brüder fügen dem Grisaille-Thema in ihren Holzschnitten sehr zurückhaltend Farbe hinzu. Sie verwenden ornamentale und figurative Formen, lassen mal ein fast reizend-karnevaleskes Gesicht, mal ein zierliches Vögelchen oder eine Dürer-Hand auftauchen. Sie zitieren folkloristische Motive ihrer Heimat und verarbeiten eine Fülle kunstgeschichtlicher Verweise. Das ist Holzschnitt mal anders gedacht und gemacht.

Auch darum drehen sich viele Gespräch beim anschließenden Picknick in Weiß. Ebenso wie ums Kulturschutzgesetz, um die Kunstszene Münchens im Allgemeinen - nicht zuletzt aber auch um die Freiräume für ein Lebensgefühl, das sich von der Angst vor Terror, gleich welcher Herkunft, nicht den Freiraum zum Atmen nehmen lassen sollte.

© SZ vom 28.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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