SZenario:Feierstunde mit Botschaft

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So junge Preisträger gab es beim Poetentaler noch nie: Marcus H. Rosenmüller, Stefan Dettl, Gitti Walbrun, Christian Springer und Anton G. Leintner (v. l.). (Foto: Robert Haas)

Bei der Verleihung des Poetentalers fordert Stefan Dettl den Bayerischen Rundfunk auf, sich für junge Bands zu öffnen. Christian Springer attackiert Seehofer

Von Thomas Becker, München

Als nach drei Stunden alles gesagt und sämtliche Urkunden verteilt sind, geht es für die Fans wieder heimwärts. Ein nicht ungefährlicher Weg, zwar gut beleuchtet, aber steil und zuweilen rutschig. Deshalb sind im Künstlerhaus nach der Verleihung des Poetentalers die Geländer der Treppe hinab vom Festsaal immer sehr begehrt. Teile des Publikums sind halt nicht mehr ganz so trittsicher. Dafür aber treu und loyal. 20 Euro Eintritt sind schließlich kein Pappenstiel.

Seit 1961 verleihen die Turmschreiber diesen "Bayerischen Nobelpreis", wie man ganz gern Auf-die-eigene-Schulter-klopfend sagt. Heuer haben sie es geschafft, einen auszuzeichnen, der noch nie vom Poetentaler gehört hat und das auch offen zugibt: Stefan Dettl, Frontmann von LaBrassBanda, ist mit 34 wohl der jüngste der bislang mehr als 200 Preisträger. Platz zwei in der Alltime-Junioren-Wertung dürfte mit 42 Jahren an Markus H. Rosenmüller gehen, den man für Gedichte wie "Eine Liebe zu Wammerl mit Kraut und Kartoffelbrei" auch gleich noch zum Turmschreiber machte. Nimmt man noch die Drehbuchautorin Karin Michalke dazu (diesmal als Sängerin zu sehen), die 1976 geboren ist, kann man wohl von der jüngsten Besetzung in der Geschichte dieser Veranstaltung sprechen. Gut, der wunderbare Christian Springer, der Wesslinger Lyrik-Impresario Anton G. Leitner und die so gar nicht grantige Volksschauspielerin Gitti Walbrun verderben den Schnitt ein wenig. Aber eben nur ein wenig.

Es besteht also Hoffnung, dass der Poetentaler nicht zum reinen Seniorentreff wird. Dass jung und alt in Bayerns Kunst und Kultur prima zusammen können, war im Künstlerhaus gut zu sehen. Gut wäre zudem, wenn der Preis auch von den Künstlern genutzt würde - nicht nur zur Selbstdarstellung, sondern gern auch mal für eine Botschaft. Stefan Dettl, der seine Poetentaler-Premiere entspannt von der letzten Reihe aus verfolgt, hat das gleich kapiert und Gerald Huber, den im Publikum sitzenden Hörspielchef des Bayerischen Rundfunks, aufgefordert, den BR für junge Bands zu öffnen: "Die brauchen eine Plattform - und Bayern 3 ist es nicht."

Auch Kabarettist Christian Springer will sich an diesem Abend nicht mit harmlosen Spaßettln begnügen, sondern attackiert mit einer Lesung aus seinem in zwei Wochen erscheinenden Buch "Landesvater, cool down!" die Fähnchen-nach-dem-Wind-Politik des bayrischen Ministerpräsidenten: "Seehofers Worte: Wir Bayern sind weltoffen, gastfreundlich und neugierig auf andere. Welcome Dahoam. Das hat auch einem Schwarzen gegolten, aber das war kein Flüchtling, sondern der amerikanische Präsident. Wenige Monate danach: nichts mehr ,Welcome'. Da heißt es von der bayerischen Staatsregierung: ,Wir sind am Ende unserer Möglichkeiten.' Schade."

© SZ vom 30.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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