SZenario:Anekdoten und ein Kaktus

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"Ich habe ein bisschen Angst vor ihr, seit sie mich für ein Foto mal überredet hat, aufs Glockenspiel raus zu steigen", sagt Christian Ude (links). (Foto: Florian Peljak)

"Unterschätzt mich ruhig", dachte sie zu Beginn ihrer Karriere - die Fotografin und Dokumentarfilmerin Herlinde Koelbl erhält den Kulturellen Ehrenpreis der Stadt München

Von Christiane Lutz, München

Das mit dem Kaktus klärt sich nach der Hälfte des Abends auf. Ein Glück, denn die Gäste im Festsaal des alten Rathauses wundern sich, warum um alles in der Welt ein kugeliger Kaktus von der Größe eines Basketballs ziemlich prominent neben dem Rednerpult auf einem Tisch platziert ist. Was der am Donnerstagabend bei der Verleihung des Kulturellen Ehrenpreises der Stadt München an die Künstlerin Herlinde Koelbl verloren hat? Als Koelbl ihren Preis nach einer Ansprache von Kulturreferent Hans-Georg Küppers und einer Laudatio von Christoph Stölzl in Empfang genommen hat, zeigt sie zuerst ein Foto von John Cage, friedlich lächelnd zwischen Löwenzahn auf einer Wiese liegend. Sie erzählt, wie sie den Komponisten wenige Jahre vor seinem Tod fotografieren durfte, wie ihr im Studio gute Fotos, aber kein sehr gutes Foto von ihm gelungen war. Sie lockte ihn nach draußen, wo die Sonne schien und fragte, ob er sich nicht einfach ins Gras legen wolle, den entsetzten Blick seines Pressereferenten ignorierend. Cage antwortete: "Why not?" und lächelte. Das sehr gute Foto war gemacht. Das, was Herlinde Koelbl, 76, mit dieser Anekdote eigentlich sagen will, ist: "Du kannst nicht mehr als ein Nein bekommen, wenn du dich traust, zu fragen." Einer der Leitsätze ihres künstlerischen Schaffens, das sie mit 27 Jahren zur Fotografie, später dann zum Dokumentarfilm und zum Journalismus gebracht hat.

Bis heute hat Koelbl mehr als zehn Fotobände veröffentlicht, fast schon legendär sind ihre Langzeitstudien "Das deutsche Wohnzimmer" (1980) und "Spuren der Macht" (1999), in der sie Politiker über den Zeitraum von neun Jahren immer wieder fotografiert hat. Heute fotografiert sie regelmäßig für das Zeit-Magazin, in dem sie für die Rubrik "das war meine Rettung" die Porträtierten auch interviewt.

"Die Ausdauer, die Geduld, Dinge zu verfolgen und immer wieder zu ihnen zurückzukommen", lobt Kulturreferent Küppers als eine der herausragenden Qualitäten Koelbls. Eigentlich hätte der Preis durch Oberbürgermeister Dieter Reiter überreicht werden sollen, der aber sei krank, und das habe, betont Küppers ausdrücklich, nichts mit dem Nockherberg zu tun, auf dem er sich am Vorabend der Preisverleihung noch recht munter gezeigt hatte. Küppers selbst findet aber Worte von aufrichtiger Bewunderung. Es sei "die Erwähnung wert", dass sich Koelbl als Fotografin gegen ein Heer männlicher Kollegen durchsetzen musste, die Frauen hinter der Kamera nicht ernst genommen hätten.

Herlinde Koelbl lächelt tapfer, wenn man sie auf dieses "Frausein im Männerberuf" anspricht. Es ist nicht ihr Lieblingsthema. "Wissen Sie", sagt sie, nachdem die Preisverleihung vorbei ist, "noch in den Achtzigerjahren, als ich für ein Projekt Manager fotografieren sollte, wurde ich von zweien von ihnen gefragt, ob ich überhaupt einen Film in der Kamera hätte." Sind Sie böse geworden? "Ich dachte mir: Unterschätzt mich ruhig. Da kann ich nur gewinnen." Sie sagt auch, und das tut sie vor Publikum in ihrer Dankesrede, dass sie nicht nur deshalb gut im Job sei, weil sie vierfache Mutter sei. Eine wohl gut gemeinte These, die Christoph Stölzl in seiner Laudatio auf die Künstlerin erhob. Knapp 50 Berufsjahre, und immer noch Frauen- und Mutterklischees. Aber Herlinde Koelbl nimmt es an diesem Abend gelassen.

Stölzl laudatiert weiter, wie beeindruckt er gewesen sei, als er 1984 Koelbls Buch "Männer" in der Hand hielt, in dem sie sich recht schonungslos dem männlichen Körper nähert. "Die Griechen verkleinern gewisse Dinge ja gern, täuschen in ihren Skulpturen stets hinweg über all das Hängende, über das Mobile." Gelächter. "Sie tut das nicht." Dann gibt er zu, sich selbst nicht getraut zu haben, damals für "Männer" Modell zu stehen, als Koelbl ihn darum bat, was er heute bereue. "Da war er, der Mantel der Geschichte, und ich habe ihn nicht gepackt."

Ganz schön geschichtsträchtig ist dafür der "Kulturelle Ehrenpreis der Landeshauptstadt München". Er wird seit 1958 jährlich von der Stadt vergeben und ist mit 10 000 Euro dotiert. Was Koelbl mit dem Geld vorhat, weiß sie noch nicht, zumindest verrät sie es nicht. Wahrscheinlich aber steckt sie es in ein nächstes Langzeitprojekt, das sie, wie alle ihre Bücher, zunächst selbst finanziert.

Bleibt die Frage nach dem Kaktus. Koelbl bittet die Percussionistin Robyn Schulkowsky auf die Bühne, zeigt das Foto von John Cage und erzählt, dass sie ein Fan seiner "Kaktus"-Komposition sei. Schulkowsky beginnt, den akustisch verstärkten Kaktus auf ganz zauberhafte Weise zu zupfen. Tröpfelnd, ploppend, wahrscheinlich pieksend.

© SZ vom 27.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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