SZ-Serie, Wildes München, Folge 13:Echt sportlich

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Auf der Anlage des Rennvereins München in Riem leben etwa 140 Pferde, eines davon ist der vierjährige Galopper Mr. Onyx. Der Wallach absolviert täglich ein genau geplantes Trainingspensum, ehe er auf die Koppel darf

Von Udo Watter

Für ein Rennpferd ist das Leben kein Ponyhof. Wenn Mr. Onyx, der vierjährige Fuchs aus dem Stall von Werner Glanz, im morgendlichen Dämmerlicht seine Box verlässt, dann wartet erst mal ein hübsches Vormittagsprogramm auf ihn. Gerade in diesem ungewöhnlich heißen Sommer heißt es für das Rennpferd, sehr früh aufzustehen und rüber zur nahe gelegenen weitläufigen Trainingsbahn - hier auf dem Gelände der Galopprennbahn Riem, das fast 100 Hektar umfasst.

Noch im zarten Zwielicht beginnt Mr. Onyx dann seine ersten sportiven Einheiten. Zehn Minuten Schritt, zehn Minuten Traben, wieder Schritt - und dann wartet die Sandbahn, wo sich das Tempo deutlich verschärft: Mr. Onyx jagt nun im Galopp übers Gelände, vier, fünf Minuten lang, mehr als 2000 Meter - eine kurze, aber hochintensive Phase. Hier richtig zu steuern, richtig mit dem Pferd zu arbeiten, ist entscheidend. "Das ist das Geheimrezept", sagt sein Trainer Werner Glanz.

Nach dem Absatteln geht es in die Waschbox, und der Schweiß wird mit dem Schweißmesser abgezogen. Danach steht das Programm in der Freilauf-Führanlage an, ein ergänzendes Trainingsinstrument, das der Steigerung von Kondition und Muskelaufbau dienen kann und generell das Pferd noch mal zur Bewegung animiert. Ist das erledigt, geht's für eine Weile in die Koppel, die von Bäumen flankiert wird und hübsch neben einem offenen Hühnergehege liegt - und wer Mr. Onyx beobachtet, wie er sich dort gebärdet, dem könnten dann doch wieder der etwas alberne Spruch vom Ponyhof in den Kopf schießen, der ja als Synonym für eine sorgenfreie, unbeschwerte Existenz gilt.

Das Sandbad auf der Koppel ist für Mr. Onyx nach dem Training ein Genuss und es dient auch der Pflege seines Felles. (Foto: Catherina Hess)

Der Wallach, der mit seinem hellbraunen, samtig gepflegten Fell und den eleganten, muskulösen Beinen eine anmutige Erscheinung ist, scheint sich dort so wohl zu fühlen, dass quasi im positiven Sinne der Gaul mit ihm durchgeht: Er wälzt sich äußerst agil im Staub, streckt die Beine nach oben - und macht selbst auf dem Rücken liegend bella figura. Ein kleiner Poser etwa? "Das macht er nur, weil heute Zuschauer da sind", sagt Glanz, aber der 58-jährige Österreicher flunkert natürlich. Mr. Onyx liebt dieses Wälzen im Staub, das sogenannte Sandbad, das auch der Fellpflege dient. Auf ihn warten noch weitere Nettigkeiten, die Nase wird sauber gemacht und die Hufe werden ausgekratzt. Um 11 Uhr wird er schließlich gefüttert, danach hat er erst mal bis zum Abend hin frei, verbringt die Zeit in seiner mit Stroh ausgelegten, mit 4,20 mal 4,50 Meter relativ großzügigen Box, ehe es gegen Abend - wenn die Hitze nicht mehr so stark ist und die Fliegen weniger lästig sind - noch mal raus zum Bewegen geht.

Ein Trainingsweltmeister ist Mr. Onyx, eines von 25 Pferden im Stall sieben, die von Glanz betreut werden, allerdings nicht. "Da verausgabt er sich nie", sagt Glanz. Gerade das aber mache ein gutes Rennpferd aus. Die letzten beiden Wettbewerbe, in denen der Vierjährige antrat, hat er gewonnen: beim Heimrennen in Riem am 29. Juli siegte er in einem niedriger dotierten Rennen über 1300 Meter ziemlich locker. Und Mitte August holte er in der zweithöchsten Klasse über 1400 Meter in Mülheim an der Ruhr dank eines famosen Schlussspurts den ersten Platz - was mit dem bisher höchsten von ihm errungenen Preisgeld von 10 000 Euro belohnt wurde. "Er ist eine coole Socke", lobt Glanz, der früher selbst Jockey war.

Mr. Onyx, der als eines von rund 140 Pferden auf der Anlage des Rennvereins München im Osten der Stadt lebt - früher waren es bis zu 350 -, hat seinen Betreuern nicht immer zu solchen Elogen Anlass gegeben. "Ehrlich gesagt, war er am Anfang ein ziemlicher Oarsch", sagt Glanz mit niederösterreichischem Timbre. Gekauft in Baden-Baden, kam der Fuchs vor zwei Jahren nach Riem und führte sich auf wie ein Halbstarker mit Hufen. Damals noch ein Hengst, warf der Zweijährige quasi alles und jeden ab, war sozial eher unverträglich, eine Karriere auf der Rennbahn schien kaum vorstellbar. Nachdem sich Glanz das eine Zeit lang anschaute, entschloss er sich zu einer einschneidenden Maßnahme: Der wilde Mr. Onyx wurde kastriert und bewegte sich fortan als Wallach über den Turf.

Das Pferd muss sich wohlfühlen, lautet die Maxime von Werner Glanz, der als Trainer auch für Mr. Onyx zuständig ist. (Foto: Catherina Hess)

Nun, inzwischen macht er einen wohlerzogenen, zugänglichen Eindruck und nimmt den Betrachter mit seinem sanften Blick ein. In der Anlage in Riem, in der sich auch die namhafte Galopprennbahn befindet, hat er auch einen Spielgefährten aus einem anderen Stall. Wenn sich die beiden sehen, tauschen sie kokette Zärtlichkeiten aus, wie Glanz berichtet. Pferde brauchen soziale Kontakte. Mr. Onyx kann, wenn ihm danach ist, auch den Kopf durch eine Öffnung in seiner Box rausstrecken und einen Blick rüberwerfen zur Stute nebenan.

Die Stallungen in Riem, wo derzeit sechs Trainer sowie die Cheftrainerin der Rennpferde TC GmbH, Sarah Steinberg, arbeiten, sind ziemlich marode. Zu den Olympischen Spielen 1972 schnell hochgezogen, zieht es bei schlechtem Wetter durch die dünnen Wände der Büros und Mitarbeiter-Wohnungen oder es tropft von der Decke. Wie lange die Gebäude überhaupt noch stehen - ein Abriss (und Wiederaufbau), eine grundlegende Renovierung oder der Verkauf diverser Bereiche des Areals stehen schon länger im Raum -, ist ungewiss.

Im Moment ist Mr. Onyx jedenfalls mit das beste Pferd im Stall von Glanz, der neben seinem Schmäh und der Trainer-Leidenschaft auch ein gewisses Ressentiment gegen aus seiner Sicht zur Militanz neigenden Tierschützern pflegt. "Wenn ich ein Pferd artgerecht halten und frei laufen lassen soll, dann rennt's hier halt aufs S-Bahn-Gleis oder auf den Mittleren Ring. In dem Sinne artgerecht halten, kannst ein Pferd nur in der Prärie." Ihm jedenfalls liege das Wohlergehen der von ihm trainierten Tiere am Herzen: "Das Pferd ist nicht nur Sportler, sondern vor allem Partner. Es muss ihm gut gehen, das ist das Wichtigste."

Mr. Onyx scheint sich jedenfalls in Riem wohlzufühlen, auch sportlich hat er sich gut entwickelt. In seinen bisher 13 Rennen hat er vier Mal gewonnen, wobei der letzte Triumph in Mülheim der bedeutendste war. Der Jockey, der ihn dabei ritt, kannte ihn noch aus früheren Zeiten: Auch er wurde damals ständig abgeworfen - als der Wallach noch ein Hengst war.

In der Serie "Wildes München" stellt die SZ besondere Tiere in der Stadt vor. Am Montag lesen Sie: Bienen.

© SZ vom 31.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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