SZ-Serie "Unbezahlbar schön":"Das war, als ob wir bei Null anfangen"

Lesezeit: 3 min

Christian Heinecker, der frühere Schmied von Sendling, hat das Handwerkersterben in München selbst erlebt. Heute steht seine Esse in Grafrath

Protokoll: Birgit Lotze

Seit dem Zweiten Weltkrieg haben Kunstschmiede im ehemaligen Rossstall im alten Sendlinger Dorfkern ihre Eisen ins Feuer gehalten. Vor zweieinhalb Jahren musste der Schmied von Sendling die Stadt verlassen. Christian Heinecker führte die Werkstatt bis dahin 16 Jahre, als er die Kündigung bekam. Heute arbeitet er in Grafrath im Landkreis Fürstenfeldbruck, wie er erzählt.

"Das war, als ob wir bei Null anfangen. Unser Wohnhaus war damals in Grafrath, wir sind nach München zu unserer Werkstatt gependelt. Es war sehr schwierig, eine neue Werkstatt zu finden. Entweder hieß es, unser Gewerbe ist zu laut - das Schmiedefeuer mit dem Dreck und dem Rauch. Oder die Parzellen, die uns angeboten wurden, waren zu groß. Wir brauchen ja nur eine kleine Werkstatt und eine Wohnung. Durch Zufall haben wir in Grafrath dann den letzten Gewerbegrund gekriegt. Deshalb sind wir dort auch gelandet. Wir mussten damals unser Privathaus verkaufen, damit wir woanders eine Werkstatt mit Wohnhaus hinbauen konnten. Das war alles nicht einfach. Jetzt wohnen wir im Neubau, was wir eigentlich nie wollten. Uns ist nichts anderes übrig geblieben. Unser altes Wohnhaus war gerade erst saniert von unten bis oben, der Garten angelegt. Als es fertig war, mussten wir verkaufen, sonst hätten wir das Geld von der Bank nicht bekommen. Das ist alles grad so aufgegangen.

Meine Frau und ich fühlen uns jetzt aber wohl. In München hatte man mir damals als Ersatz die Münchner Gewerbehöfe angeboten, diese Glaskästen. Das wäre nichts für mich gewesen. Was will ich in einem Aquarium? Da fliegen dann die Meißel rum, die Eisen - ich kann doch nicht laufend Scheiben wechseln. Die Werkstatt in Sendling war eine richtige Idylle, da konnte man kreativ sein. Ganz abgeschieden und doch mittendrin. Wir wollten immer in München bleiben, haben alles probiert. Aber man kann es sich einfach nicht mehr leisten. Ich habe auch eine andere Schmiede, die in Pasing zum Verkauf stand, anschauen wollen. Als ich hinkam, war da nur noch ein großes Loch.

Das war chaotisch, als die Kündigung kam. Es ging erst mal ein Jahr hin und her. Es hieß zunächst, wir müssen raus, dann kam plötzlich die Nachricht, wir können doch bleiben. Wir hatten aber das Problem, dass unsere Söhne bei uns als Lehrlinge anfangen sollten, wir wollten, dass sie auch eine Zukunft sehen. Deshalb sind wir umgeschwenkt. Deshalb haben wir dann versucht, etwas Eigenes auf die Füße zu stellen.

Dann hat der Rausschmiss die große Runde gemacht. Die SZ war da, die anderen Zeitungen, der BR. Ein Fotograf wollte eine Serie zum Handwerkerleben in Sendling machen, daraus wurde eine Serie über Handwerkersterben in München. Denn als meine Geschichte herauskam, wurden auch andere Fälle bekannt, zum Beispiel von einem Schuster, dem in Schwabing gekündigt wurde. Dann war der Bezirksausschuss da, plötzlich ging's zum Stadtrat. Überall hieß es, wir müssen den Schmied von Sendling erhalten, wir müssen ihn erhalten. Aber dann kam eben Grafrath.

Wir hätten eine Schlosserei am Viktualienmarkt übernehmen können. Aber das wäre auch zur Miete gewesen, wir wären wieder abhängig gewesen. Und die Nachbarn der Schlosserei waren das Schmiedefeuer nicht gewohnt, wir hätten bestimmt Ärger bekommen. Nach dem, was wir erlebt hatten, wollten wir unseren Buben das nicht mehr antun. So ein Umzug als Schmied ist keine leichte Aktion. Die Maschinen und das Material sind sehr schwer. Allein das Schmiedefeuer hatte vier Essen.

Es hätte dann schon wieder eine Möglichkeit gegeben, drin zu bleiben. Aber wir wären aus dem Altbestand herausgefallen, und der war begünstigt. Den Umbau sollten wir zahlen, wir hätten zum Beispiel eine Wand beidseitig schallisolieren sollen. Dann wäre alles zu klein geworden, ein Fass ohne Boden. Da hab' ich dann gesagt, dass ich lieber das Geld in etwas Eigenes stecke. Sollen die mir doch den Buckel herunter rutschen. Die Voraussetzungen haben einfach nicht mehr gepasst.

Anfangs wurde uns gesagt, da soll eine Kita reinkommen. Dann hieß es, da soll ein chinesisches Schnellrestaurant rein. Was daraus geworden ist, hab' ich nicht gehört. Aber das bringt ja eh nichts. Der große Vorteil in Grafrath ist der kurze Weg zur S-Bahn. Deshalb haben wir noch viele Kunden von damals - gerade die, denen wir damals eine Kleinigkeit gerichtet haben. Sie sagen auch, sie wissen gar nicht, an wen sie sich wenden sollen. Und so sind wir noch häufig in München. Alle zwei Wochen fahren wir die Friedhöfe ab, holen die Kreuze zum Reparieren ab und bringen sie zurück."

Gentrifizierung, die Verdrängung oft langjährig ansässiger Menschen aus ihren Vierteln, ist nicht immer die Geschichte vom bösen Spekulanten . Oft gibt es auch andere Ursachen. Im Ergebnis wiederholen sich die Phänomene: Münchner ziehen aus der Innenstadt weg, wechseln in kleinere, bezahlbare Wohnungen oder verlassen die Stadt, die sie sich nicht mehr leisten können. Mit dem Problem befasst sich ein SZ-Forum an diesem Mittwoch, 24. Juni, um 19 Uhr in der Freiheiz-Veranstaltungshalle, Rainer-Werner-Fassbinder-Platz 1. Am Dienstag lesen Sie, wie sich der Veränderungsdruck auf die Attraktivität der Wohnviertel auswirkt. Online: www.sz.de/gentrifizierung.

© SZ vom 22.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: