SZ-Serie über die Armut in der Großstadt (17):Ein Pate für die schweren Fälle

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Der 60-jährige Torsten Hartmann war Unternehmer - jetzt gibt er benachteiligten Kindern Nachhilfe.

Bernd Kastner

Torsten Hartmann sagt, er mache das nicht aus Mitleid oder Gutmenschentum. Allein aus ,,ökonomischem Denken'' heraus tue er es. Und dieses Denken geht so: Kommt ein junger Mensch mit 15 Jahren aus der Schule, ohne Abschluss, sofort arbeitslos, muss der Staat bis zu seinem Lebensende für ihn sorgen. ,,Wie lange wollen wir uns das leisten?'', fragt Hartmann.

Der "Super-Pate" vom Harthof: Torsten Hartmann gibt einem seiner Schützlinge Nachhilfe. (Foto: Foto: Robert Haas)

Er hat für sich die Antwort gefunden. Als er vor wenigen Monaten 60 geworden ist, hat er, der Zeit seines Lebens Unternehmer war, seine Kommunikationsfirma verkauft, schweren Herzens zwar, aber es musste sein, weil er einen Käufer hatte. Dann hat er eine Woche lang überlegt, was nun? - er wusste nur, dass es was Sinnvolles sein muss und etwas für Kinder, ohne Bezahlung, versteht sich. So ist er bei einer Ehrenamtlichen-Messe gelandet, hat gefragt, ,,wie kann ich mich nützlich machen?'' - und irgendwann ist er beim Mehrgenerationenhaus (MGH) vom Harthof hängen geblieben.

Uschi Weber, die MGH-Leiterin, hat er getroffen, und die hat ihn auf ihr Patenprojekt hingewiesen: ,,Wir hätten da einen speziellen Fall.'' Das war ein türkischer Bub, zwölf Jahre alt, bis zu seinem achten Lebensjahr war er gehörlos, sprechen konnte er auch kaum, aufgewachsen ohne Muttersprache, nur mit der Gebärdensprache. In der Schule haben sie ihn deshalb gehänselt, er war in der Entwicklung zurückgeblieben und hat dies mit Kraft, mit zu viel Kraft anderen gegenüber zu kompensieren versucht. Irgendwann blieb nur noch der Schulwechsel, seither besucht der Junge aus Neuhausen eine Schule im Harthof. ,,Den sollte ich mir in Englisch vorknöpfen'', sagt Hartmann. Und nun lernt er auch Deutsch mit ihm, denn was nutzt Englisch ohne Deutsch.

Torsten Hartmann ist viel Arbeiten gewöhnt, und so hätte es gewundert, wenn er sich mit der Betreuung eines Schülers zufrieden gegeben hätte. Er ist dann zur Arbeitsagentur gelaufen, weil dort doch so viele bestens ausgebildete junge Alte auf einen Job warten, den sie nicht mehr kriegen, weil sie 55 sind. Die haben doch viel Lebenserfahrung, hat sich Hartmann gedacht, könnten sich doch auch für junge, unterprivilegierte Menschen einsetzen. Wie wäre es, wenn die Arbeitsvermittler 1000 Arbeitslose fragen, und wenn dann 50 Ja sagen, wäre das wunderbar. ,,Dann könnte ich mit 50 Hartmännern in eine Schule gehen.'' Da lacht der eine Hartmann.

Die Kooperation mit der Agentur laufe langsam an, sagt Hartmann, und so hofft er noch auf die gewünschte Vervielfachung des Hartmanns. Immerhin, ein zweiter hat sich gemeldet. Dafür hat er selbst seine Stundenzahl erhöht. Uschi Weber nennt ihn ,,unseren Superpaten''. Er will sich künftig ganz ans MGH binden, will dort seine Hartmänner-Truppe aufbauen (Bericht links).

Vorerst hat ihm das Jugendamt weitere Schüler vermittelt, alle in Neuperlach. Ein afghanisches Mädchen und ihren Bruder, einen ghanaischen Buben, zwei türkische Jungen, die den Übertritt auf die Realschule anstreben, und aus einer serbischen Familie zwei Geschwister. In Laim hat er sich kürzlich um einen 16-jährigen Deutschen gekümmert, den hatten sie vorübergehend wegen seines Verhaltens vom Unterricht suspendiert. Hartmann hat mit ihm Mathe gepaukt. Und dann war da noch der jordanische Junge, an dem aber ist Hartmann gescheitert. Er wollte ihn zum Mitmachen bewegen: Ich bringe dir Deutsch bei, du mir Arabisch. ,,Aber den konnte ich einfach nicht fürs Lernen begeistern.'' Also hat Hartmann abgebrochen, er wollte seine Zeit einem anderen schenken.

Torsten Hartmann sagt, dass er in den wenigen Monaten, die er nun Pate ist, viel gelernt habe. Was es bedeutet, wegen 30 Euro nicht auf eine Klassenfahrt zu können. Wie eine Familie funktioniert, in der die Eltern mehrere Playstations anschaffen, um den Nachwuchs bei Laune zu halten, den Kindern aber keine Zeit schenken wollen oder können. ,,Ich bekam das erste Mal Zugang zur Unterschicht.'' Das sagt ein Ex-Unternehmer, der aus einer wohlhabenden Lehrerfamilie stammt, die nie Geldsorgen kannte, einer, der in Gern wohnt und klingt wie ein Staunender, ein lernender Lehrer.

Wie er so erzählt von seiner neuen Berufung, zweifelt man daran, dass er tatsächlich alles nur aus ökonomischem Gesellschafts-Kalkül tut. Vielleicht ist doch, irgendwo in ihm, der Gutmensch versteckt, der er vorgibt, nicht zu sein. Was anderes gibt der Vater zweier längst erwachsener Kinder aber zu: Dass er früher, als er noch die Firma hatte, selbst zu wenig Zeit für seine Kinder hatte. Da lacht er und sagt, ja, es könnte schon sein, dass er mit seinem neuen Job etwas wiedergutmachen wolle. ,,Vielleicht habe ich eine Art Opa-Syndrom.''

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