SZ-Serie: Feuer und Flamme, Teil 4:Spürnasen mit Spährohr

Lesezeit: 3 min

Perfekt geschützt messen Mitglieder der Analytischen Taskforce bei Katastrophenfällen, ob Schadstoffe ausgetreten sind. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Spezialisten von der Analytischen Taskforce messen mit teurem Gerät Giftstoffe in der Luft

Von Tobias Krone

Wozu ein Fußballspiel der Champions League alles gut sein kann: Die einen erleben im Fanblock einen aufregenden Abend mit vielen Toren, die anderen üben in ihrem Einsatzwagen, Giftwolken zu analysieren. Während Lewandowski, Müller, Thiago und Coman die Bayern gegen Juventus Turin ins Viertelfinale schossen, sammelte die Analytische Taskforce (ATF) München Erkenntnisse im Stadion anderer Art - über ganz spezielle Chemikalien in der Arena.

Florian Ramian, ein für gewöhnlich sehr sachlicher Elektroingenieur mit sportlicher Statur, erzählt mit verschmitztem Lächeln, wie er mit seinen Kollegen während des Spiels aus dem Dach eines Einsatzwagens ein Fernerkundung-Infrarot-Spektrometer ausfuhr. Das Gerät ähnelt äußerlich dem Spährohr eines U-Boots und identifiziert Chemikalien in der Luft. "Wir konnten über den Zuschauerrängen Alkoholanteile feststellen, obwohl ja im Stadion Alkoholverbot herrschte", sagt Ramians Kollege Simon Gerstenhöfer. Die Fans hatten offensichtlich schon gut vorgeglüht. Ein netter Gag zu Übungszwecken, der aber zeigte: Die Geräte funktionieren einwandfrei. Und sollte es sich im Ernstfall dann einmal nicht um Bierausdünstungen von Fußballfans handeln, sondern um gefährliches Ammoniak, das beispielsweise aus einer brennenden Lagerhalle entwichen ist, dann können die Spezialisten von der Analytischen Taskforce rechtzeitig Alarm schlagen.

Sie sind dafür ausgebildet, noch die geringsten Mengen Schadstoffe in der Umwelt zu finden. Vom Lkw-Unfall bis zur Weltkriegs-Altlast prüft die Sondergruppe alles ganz genau auf seine Bestandteile. Ein Besuch in der Feuerwache 2 an der Aidenbachstraße offenbart, mit welch faszinierender und teurer Technologie die Freiwillige Feuerwehr heute gefährliche Schadstoffe in der Umwelt untersucht, um Menschen zu schützen.

Florian Ramian von der Freiwilligen Feuerwehr und Simon Gerstenhöfer von der Berufsfeuerwehr arbeiten gemeinsam in der ungewöhnlichen Sondereinheit. Gerstenhöfer als Leiter, Ramian als Auswerter der Proben. Das Gerät der Taskforce leistet sich nicht wie normalerweise bei der Münchner Feuerwehr die Stadt, sondern der Bund. Und der Begriff "leisten" ist wörtlich gemeint: Allein das Fernerkundungsgerät koste etwa eine halbe Million Euro, sagt Simon Gerstenhöfer. Bei etwa der Hälfte liegt ein Gaschromatograph, auch Massenspektrometer genannt. Das ist ein unscheinbarer Kasten von der Größe einer Kaffeemaschine, der im Chemielabor-Container vor sich hin surrt - und auch zur Grundausstattung des Spürpanzers Fuchs der Bundeswehr zählt. Mit ihm lassen sich gemischte Stoffe zum Beispiel einer Bodenprobe, die Gift enthält, erkennen. Zum Abgleich hat das Gerät etwa 160 000 Ausgangssubstanzen gespeichert.

Der Bund finanziert die Geräte und den Fuhrpark auch deshalb, weil die ATF über Bundesländer-Grenzen hinweg arbeitet. Orte im Radius von 250 Kilometern müssen die Sondergruppen innerhalb von zwei bis drei Stunden erreichen, erläutert Gerstenhöfer. Für die Münchner bedeutet das, dass sie auch das östliche Baden-Württemberg abdecken. Ramian, Gerstenhöfer und ihre Mannschaft helfen dann, wenn die Feuerwehren vor Ort nicht mehr weiterwissen, weil sie die Stoffe nicht messen können - oder es zu gefährlich wird. Gerstenhöfer nennt ein Beispiel: "Ein Pkw hat einen Unfall und Chemikalien entweichen, die nicht gekennzeichnet sind." Die Taskforce war auch zur Stelle, als 2011 die Lagerhalle eines Karlsfelder Dachdeckerbetriebs in Flammen aufging. "Gebrannt hat damals vor allem Dachpappe", sagt Ramian. Ein Gefahrenstoff. Sie klärten ab, wie gefährlich der Rauch für die Nachbarschaft war. Nachdem sie diesen mit dem ausgefahrenen Fernerkundungs-Spektrometer untersucht hatten, konnten sie Entwarnung geben.

Aber auch an andere Fälle erinnern sich die Feuerwehrmänner: "Weiße Pülverchen" etwa, sagt Gerstenhöfer. Kurz nach den Anschlägen des 11. September 2001 tauchten mehrere Briefe mit dem Erreger der tödlichen Krankheit Milzbrand in den USA auf - fünf Menschen starben. Vor vier Jahren landete in der Poststelle des Münchner Rathauses ein ebenfalls verdächtiger Brief, der ein Pulver enthielt. Die Spezialisten rückten an und fanden mithilfe ihrer Geräte heraus: Der Inhalt war harmloser Quarzsand.

In regelmäßigen Abständen müssen die Spezialisten auch dann ausrücken, wenn auf einer Baustelle wieder einmal die Altlasten der jüngeren deutschen Geschichte zum Vorschein kommen. "Chemische Kampfstoffe wurden nach den Weltkriegen an vielen Stellen entsorgt", sagt Gerstenhöfer. Giftige Ablagerungen fänden sie in Böden von Kasernen und alten Produktionsstätten. Einmal kam ein Mitarbeiter einer Sanierungsfirma mit giftigem Material in Berührung - durch die Erkenntnisse der Taskforce konnte er im Krankenhaus sofort richtig behandelt werden. Ihm geht es heute wieder gut.

Geschützt durch Ganzkörperanzüge, und, wenn es sein muss, auch durch Gasmasken kommen die Feuerwehrler von der Taskforce ihren Untersuchungsobjekten nahe. Die meisten Mitglieder der Sondergruppe sind vom Fach, also Chemiker, Biologen oder Physiker. "Manche von uns arbeiten in Krankenhäusern", erklärt Gerstenhöfer, andere in der Industrie. Ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr habe seine Doktorarbeit über den Einsatz von Massenspektroskopie geschrieben. Unabhängig von ihren Aufgaben bei der Taskforce verrichten aber alle Mitglieder der Spezialistengruppe auch noch ihren normalen Dienst - bei ihrer Stadtteilfeuerwehr und bei der Berufsfeuerwehr.

© SZ vom 30.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: