SZ-Serie: Die Isartürkin (11):Die Mär vom Kümmeltürken

Lesezeit: 3 min

Warum gibt es das Bild vom dreckigen Türken? Das Gegenteil ist der Fall. Eine Spurensuche

Von Deniz Aykanat

Es gab früher dieses Bild vom dreckigen Türken. Vom Türken, der nach Kümmel riecht, den eine Dampfwolke aus Knoblauch umgibt, der Unbekömmliches wie Schafsinnereien isst. Von den Türkinnen, die unter ihrem engen Kopftuch bestimmt schwitzen und müffeln. Die türkischen Familien, die gerne mit Aldi-Tüten verreisen, bestimmt mit lauter Unrat drin. Und dann das ganze Essen, immer riecht es bei denen überall nach Essen!

Ich weiß nicht, woher das kam. Denn ich kenne wohl kein Volk, das so viel Zeit mit Putzen beschäftigt ist wie die Türken. Sie putzen ununterbrochen: sich selber, die Wohnung, das Auto. Türken putzen sogar den Staub. Isst man an einem Kebab-Stand in der Türkei, bekommt man einzeln luftdicht abgepackte Wasserportiönchen im Becher hingestellt. Setzt man sich in einen Überlandbus, geht nach fünf Sekunden der Busfahrer mit Kölnisch Wasser durch die Reihen und tauft damit alle Fahrgäste. Vorher gibt's keine Nüsse! Das Wort "Islak mendil" ist das meistbenutzte auf jedem Ausflug oder Picknick. Es bedeutet: Feuchttücher. Wenn sie bekömmlich und schmackhaft wären, würden Türken Feuchttücher auch essen. Und im Hochsommer kann man den Gipfel der Sauberkeit beobachten. Türken schrubben den Asphalt vor ihren Läden und Restaurants, damit sich der aufgewirbelte Staub dort nicht auf die parkenden Autos legt.

Apropos Staub: Als ich in Istanbul studierte, hatte ich das große Glück, ein kleines Zimmer mit Balkon bewohnen zu dürfen. Mein Glück hielt jeden Tag bis Schlag 9.30 Uhr an. Dann schüttelte meine türkische Nachbarin von oben stundenlang alle ihre Teppiche gründlich aus. Für mich wurde der Tag plötzlich zur Nacht, wie in Independence Day, als der Himmel sich plötzlich vor lauter Ufos verdunkelte. Mein persönliches Staub-Armageddon gipfelte darin, dass ich mal wieder mein Teeglas draußen vergessen hatte, das der flatternde Teppich in hohem Bogen über die Brüstung schleuderte.

Zu meiner Schande musste ich nach ein paar Wochen, in der ich meiner Nachbarin den Tod durch Asthma wünschte, feststellen, dass der Staub nicht von ihren Teppichen kam. Die klopfte sie ja täglich aus. Es handelte sich einfach nur um den aufgewirbelten Dreck meines eigenen Balkons. Hatte ich jetzt zu wenig typisch deutsche oder typisch türkische Reinlichkeit? Um meinen Identitätskonflikt zu kompensieren, stauchte ich meine französischen und niederländischen Mitbewohnerinnen zusammen, die immer mit Straßenschuhen die Wohnung betraten. In Deutschland ein Unding, in der Türkei eine Todsünde. Sollten die doch selber entscheiden, ob da die Türkin oder die Deutsche aus mir spricht.

Während meines Studiums in Istanbul bekam ich oft Besuch aus Deutschland. Manche Freundin fragte, ob sie im Flugzeug schon ein Kopftuch überstreifen müsse. Nein, das ist nicht Iran. Auch unter Erdoğan nicht. Nach Startschwierigkeiten überwog dann der Wunsch, vollends in die türkische Kultur einzutauchen. Und dazu gehört dem Klischee nach auch ein Besuch im Hammam. Wie ich schon sagte: Die Türken sind besessen von Sauberkeit - angefangen bei den eigenen Achselhöhlen. Meine Freundinnen verfrachtete ich ins total authentische Hammam in meiner Straße, wo nur die Einheimischen hingehen. Oder niemand. Weil die Hammam-Kultur in Istanbul eigentlich längst ausgestorben ist. Jedenfalls waren nur meine Freundinnen und ich da, dafür bekamen wir dann eine Extra-Behandlung von Hatice und Nilüfer, zwei kräftigen Mittvierzigerinnen in schwarzer Baumwollunterwäsche. Auf der beheizten Marmorplatte wurden wir mit einem Hektoliter Seifenwasser übergossen und anschließend von Nilüfer mit einem groben Seidenhandschuh abgerubbelt, bis wir rosig wie Spanferkel waren. Sollte sich jemand vorher irgendwie mit Kümmel in dieser von Kümmeltürken bewohnten Großstadt besudelt haben, das war nach dem Hammam-Besuch verflogen.

Wir rochen wie ein gechlortes Schwimmbad. Das mit dem Kümmel verstehe ich ohnehin nicht. In der türkischen Küche kommt der praktisch nicht vor. In der bayerischen hingegen schon! Im Obazdn, im Schweinebraten, im Kartoffelsalat. Wenn überhaupt Kümmeltürke, dann doch wohl Kreuzkümmeltürke! Übrigens: Schafsinnereien sind wirklich unbekömmlich. Verdammt unbekömmlich sogar, wenn man sie nicht gewohnt ist. Vielleicht sollte man mal ein bisschen bayerischen Kümmel drüber streuen.

In der Beziehung zwischen Deutschen und Türken läuft etwas schief. Es scheint nur noch "wir" und "die anderen" zu geben. SZ-Redakteurin Deniz Aykanat trägt beide Seiten in sich. Meistens verstehen sie sich gut. Folge 11 unserer SZ-Serie, die alle vier Wochen in der Dienstagsausgabe erscheint.

© SZ vom 05.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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