SZ-Serie: Die Isar-Türkin, Folge 3:Rohe Zwiebel gegen den Hunger

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In der Beziehung zwischen Deutschen und Türken läuft etwas gewaltig schief. Es scheint nur noch "wir" und "die anderen" zu geben. SZ-Redakteurin Deniz Aykanat trägt beide Seiten in sich. Meistens verstehen sie sich gut

Von Deniz Aykanat

Als wir noch in Marmaris wohnten, kamen wir eines Nachmittags nach Hause und fanden eine Kuh in unserem Garten vor. Selig kaute sie unseren Rasen ab, der trotz Gluthitze mitten im August immer perfekt grün war. Dann natürlich nicht mehr.

Die Kuh gehörte Fatma, die hin und wieder zum Putzen und Kinderhüten bei uns vorbeikam. Da wir von Fatmas Kuh unsere Milch bekamen, war es nur recht und billig, dass sie unseren Garten abgraste. Im restlichen Marmaris sahen die Grünflächen während der langen Sommermonate wie Präriesteppen aus. Mein Vater hingegen bewässerte unseren Vorgarten penibel wie ein deutscher Rentner im Schrebergartenverein. Fatmas Kuh und unser spießiger Rasen: Es war eine deutsch-türkische Freundschaft. Oder eine privilegierte Partnerschaft?

Fatma wohnte in einem Bretterverschlag am Rande der Stadt. Sie war eine pragmatische Frau und eine der sehr wenigen Türkinnen, die nicht kochen können oder wollen. Manchmal passte sie auf meinen Bruder und mich auf. Und wenn wir Hunger bekamen, schälte sie uns eine rohe Zwiebel und gab sie uns zum Essen wie einen Apfel. Während wir zubissen, rollten uns Tränen über die Wangen. Wir stanken danach tagelang wie eine Biomülltonne. Dafür waren wir nie krank. Das konnte meine Mutter, eine deutsche Krankenschwester, nur gut finden. Es waren Zeiten, da tasteten sich Deutsche und Türken gegenseitig ab wie interessierte wohlwollende Blinde - und sie bemerkten dabei: fühlt sich ganz gut an.

Hatten wir damals irgendwelche Zipperlein, beschmierte Fatma uns mit Olivenöl. Der erste Zahn kam: mit Olivenöl spülen. Windelbrand: Olivenöl auf den Hintern. Eine Erkältung im Anmarsch: Olivenöl trinken. Sonnenbrand: Olivenölwickel. Langeweile: Die Kinder kippen Olivenöl aus und baden darin in der Küche am Boden. So entwickelte sich in meiner deutsch-türkischen Familie eine Vorliebe für Olivenöl. Einmal überredete eine übereifrige Münchner Dermatologin meinen Vater zu einem Fruchtsäurepeeling. Danach sah er aus wie der Einbrecher in "Kevin allein zu Haus", der das heiße Bügeleisen ins Gesicht bekommt. Zwei Tage später war seine Stirn makellos wie nach einer Botoxbehandlung - und unser Olivenöl-Kanister um ein Drittel leerer. Den Rest benutzte meine Mutter gegen Haarspliss, Kratzer auf dem Esstisch und um die Scharniere unserer Türen zu ölen. Wenn die Türken das seit Jahrhunderten so machen, wird es schon helfen.

Deutsche übernehmen ausländische Gepflogenheiten ja gerne bis zur Selbstaufgabe. Der deutsche Rucksacktourist zum Beispiel assimiliert sich mitunter wie der Spion in "Asterix und Kleopatra", der das Muster der Wandbemalung annimmt, an der er entlangkriecht. Man beobachtet das bei jungen deutschen Reisenden, die im Nahen Osten in Pluderhosen rumlaufen und von den Jeans tragenden Einheimischen verwundert gemustert werden. Als ich ein Jahr in Australien verbrachte, galt es unter uns deutschen Backpackern als größte Errungenschaft, wenn man zumindest für einen Holländer gehalten wurde. Wir sprachen sogar untereinander Englisch. Gleichzeitig führten wir uns auf wie evangelische Missionare in Lateinamerika, wenn es um Bier und Sauerteigbrot ging. Auch der Anpassungswahn der Deutschen kennt Grenzen!

Bei Recep Tayyip Erdoğan sind die allerdings früher erreicht: "Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit", sagte er einst bei seiner Rede 2010 in Köln. Er rief die Türken in Deutschland dazu auf, ihre Sprache und Kultur gegen die bösen Deutschen zu verteidigen.

Tiere haben da weniger Berührungsängste. Ein Rasen ist ein Rasen, mag sich die Kuh von Fatma in ihrem Kuh-Gehirn gedacht haben, als sie zwischen Oleanderbüschen und Orangenbäumen damals unser gepflegtes Gras abfräste. Und Erdoğan hat offenbar noch nie gesehen, wie schön ein BMW glänzt, nachdem er mit türkischem Olivenöl poliert wurde.

Den Hang zu alternativen Allheilmitteln haben die Türken übrigens von den Griechen (oder umgekehrt). Das weiß jeder, der die große griechische Volkssaga "My Big Fat Greek Wedding" gesehen hat. Darin besprüht der Brautvater alles vom Pickel bis zur Schramme mit dem Fensterputzmittel Windex. Die Türken und die Griechen assimilieren und integrieren sich gegenseitig seit Jahrhunderten. Der Döner stammt vom griechischen Souvlaki ab (oder umgekehrt). Der griechische Sirtaki hingegen vom türkischen Halay-Tanz (oder andersrum).

Die Feindschaft zwischen Türken und Griechen - ja das ist noch so ein Mythos, den wir bald mal aufklären müssen. In der Beziehung zwischen Deutschen und Türken läuft etwas gewaltig schief. Es scheint nur noch "wir" und "die anderen" zu geben. SZ-Redakteurin Deniz Aykanat trägt beide Seiten in sich. Meistens verstehen sie sich gut. Folge 3 unserer SZ-Serie.

© SZ vom 30.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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