SZ-Serie: 1968 - Was von damals übrig blieb, Folge 9:Vom Schloss in die Kommune

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Hippie-Adel: Manuela Freifrau von Perfall flog vom Internat, verkrachte sich mit den Eltern und spielte Congas in einer Band. Heute schreibt sie Bücher

Von Sabine Reithmaier

Der reine Luxus, die Zeit damals. Manuela Freifrau von Perfall stellt die Kaffeetasse energisch auf den Küchentisch. "Wir konnten einfach alles ausprobieren, dachten nicht an Nutzen oder Profit. Existenzängste waren uns fremd." Sie blättert das Booklet einer Langspielplatte durch. "Das bin ich", sagt sie dann und tippt auf ein Foto: Eine schöne junge Frau, die mit wallender Mähne zwischen anderen Langhaarigen unter Bäumen sitzt. 1970 hat sie mit dieser Gruppe eine Platte aufgenommen. In den Gitarristen war sie sehr verliebt. Manuela von Perfall lächelt und schiebt das Heft zur Seite. "Ist echt lange her", sagt sie dann. "Aber meine Hippie-Zeit hat mich schon geprägt."

Bis dahin war die Tochter aus uraltem Adelsgeschlecht behütet aufgewachsen. 1952 in Bonn geboren besuchte sie dort erst eine Klosterschule. "Meine Mutter war eine begeisterte Katholikin." Die Großeltern lebten auf Schloss Greifenberg am Ammersee. Als der Opa 1966 starb und der Vater bald darauf in Ruhestand ging, zog die Familie nach Bayern ins Schloss. Manuela, ein "freundliches angepasstes Kind" (Perfall), kam ins Internat nach Schondorf. 30 Mädchen und 180 Jungs - das allein bot reichlich neue Erfahrungen. Als sie sich in den vier Jahre älteren Hippie Thom Argauer verliebte, hatte das nicht nur massive Auswirkungen auf ihr Outfit - "knallrote Haare, Schlabberlook und möglichst immer einen Joint in der Hand" - sondern stachelte auch ihren Widerspruchsgeist erheblich an.

Die Eltern begeisterte das wenig, vor allem als die Tochter wegen Impertinenz aus dem Internat flog. Abitur wollte sie trotzdem machen, aber in München. "Daran hatte ich nie einen Zweifel." Die Eltern mieteten ihr ein Zimmer bei einer alten Dame in München und strichen ihr das Taschengeld. Einen echten Hippie ließen solche Maßnahmen aber kalt: Perfall griff zur Nadel und nähte weite Schlabberhosen aus Samt, verkaufte sie im Citta 2000, jener wilden Mischung aus kleinen Läden, Café, Kiosk, Restaurant, die in der Leopoldstraße 1969 gerade eröffnet hatte. "Die Hosen hielten keine Woche, weil sie so schlampig genäht waren", sagt Perfall. Aber sie brachten das notwendige Geld. Den Kontakt zu den Eltern hatte sie abgebrochen. "Ich habe kein Wort mehr mit ihnen geredet." Jeden Tag fuhr sie nach der Schule mit ihrem Mofa nach Allach. Dort hatte Thom Argauer das kleine Bauernhaus seiner Oma geerbt und sofort eine Musikerkommune ins Leben gerufen. Perfall erinnert sich: "Unsere Sessions dauerten ewig", sagt sie. "Dabei war Thom der einzig gute Musiker unter uns." Er spielte neben der sechs- auch die zwölfsaitige Gitarre, beherrschte noch andere Instrumente. Mit seinem Schulfreund Chris Karrer, Gründungsmitglied der Rockband Amon Düül, war er in der gemeinsamen Heimatstadt Kempten schon in der Dixielandgruppe Cambodunum Oldtimers und später in der Kambudu Rock Gang aufgetreten.

Manuela von Perfall (links) und ihre Mitmusiker der Band "Siloah" lebten in einem kleinen Bauernhaus und fuhren jedes Wochenende in einem klapprigen Bus zu Festivals. (Foto: Privat)

"Wir anderen waren Dilettanten." Manuela von Perfall hatte zwar Klavier gelernt, wie sich das für die Ausbildung einer höheren Tochter schickte. "Aber ich drosch bloß drauf ein." Weil sie das meiste Rhythmusgefühl besaß, fungierte sie in der Band als "Trommler" (Perfall) und bearbeitete die Congas. Die Texte schrieb Heinrich "Tiny" Stricker, der 1969 von einer Indien-Reise zurückgekehrt war und eben sein erstes Buch "Trip-Generation" veröffentlicht hatte. Der vierte war der Bass-Spieler Wolfgang Görner, der bereits als Ingenieur arbeitete. Abgesehen vom harten Kern der Band konnte aber jeder mitspielen, der zufällig vorbeikam. Mao zum Beispiel, ein Flötenspieler, der auf der Platte auch zu hören ist, von dem aber heute niemand mehr weiß, wie sein richtiger Name war. Fans hatte die Band natürlich auch; sie saßen auf den Matratzen und lauschten den psychedelischen Klängen.

Jedes Wochenende fuhr die Band im klapprigen Bus zu Festivals, "Mini-Woodstocks auf dem Land" (Perfall), und spielte. Von Tiny Stricker stammte der Vorschlag, sich Siloah zu nennen, nach einem biblischen Teich in Jerusalem. Gut, dass das damals kein Bandmitglied wusste, mit dem altmodischen Christentum hatten sie es nämlich nicht so. Es klang einfach gut, das Allacher Haus Siloah-Ranch zu nennen, einen kleinen Kontrapunkt zur der damals im ZDF laufenden US-amerikanischen Western-Serie "Die Leute von der Shiloh-Ranch" zu setzen.

Nur zum Spaß entschied sich die Gruppe 1970 dafür, im Eigenverlag eine Langspielplatte aufzunehmen. Das liest sich einfacher, als es war. Schließlich musste - auch das war ein Kennzeichen jener Zeit - alles endlos besprochen und ausdiskutiert werden, die Frage der Instrumentierung genauso wie die der Melodieführung. "Einig waren wir uns, dass Musik anarchisch, spontan, emotional und ehrlich sein sollte", sagt Perfall. Argauer bestand trotzdem auf Proben und Arrangements. Auf der A-Seite der Langspielplatte setzte er seine Linie auch durch: "Yellow Puppets hanging in the Sky" oder "Acid Eagle" weisen leise Zugeständnisse an die Kommerzialität auf. Vermutlich wurde deshalb einiges tatsächlich auf Bayern 3 gespielt. "Das war unser absoluter Höhepunkt."

Manuela von Perfall lebt mit drei Hunden in Greifenberg - nicht im Schloss, sondern im umgebauten Pferdestall. (Foto: Privat)

Auf der B-Seite wurde nur improvisiert - "da haben wir uns so richtig ausgetobt"; der Song "Aluminium Wind" dauert 18 Minuten. "Ein paar Stellen sind richtig gut, dann bricht es wieder", sagt Perfall kritisch. Dass Experimente mit Marihuana und LSD zum normalen Kommunenalltag gehörten, ist Titeln und Texten ebenfalls zu entnehmen. Natürlich ging es beim Rauschgiftkonsum nur darum, das Bewusstsein zu erweitern. "Wir machten das eher in wissenschaftlicher Absicht", sagt Perfall und lacht.

Aufgenommen wurde die LP mit einem Revox-Bandgerät in einem alten Lagerraum im Allgäu. Argauers Eltern hatten dort ein Speditionsunternehmen. "Es wurde nichts geändert, so wie es kam, wurde alles gepresst." Die Platte hatte eine Auflage von 600 Stück und keinen Namen, ein gelbes Label mit einem jeweils großgedruckten schwarzen A und B reichten.

Heute wundert sich Perfall über ihr damaliges Selbstbewusstsein. "Wirkt doch eher wie Größenwahnsinn", sagt sie. "Wir waren überzeugt: Die Welt steht uns offen." Ob sich die Platte gut verkaufte, war egal. Inzwischen ist die Platte übrigens wieder aufgelegt worden mit einer Auflage von 1000 Stück. Der Nachdruck, entzerrt und entknackt, klinge deutlich besser als das teilweise schwer erträgliche Original, findet Perfall. Dass die Erstpressung auf Internetplattformen inzwischen sehr teuer gehandelt wird, erstaunt sie sehr. Kurz nach dem Erscheinen der Platte war auch der Traum von Love und Peace ausgeträumt, endete die Liebe zwischen dem Gitarristen und der Congas-Spielerin. Manuela von Perfalls Vater erlaubte ihr nicht, mit ihrem Freund nach Spanien zu reisen. "Als Thom schließlich ebenfalls fand, ich sei zu jung für die Fahrt, hielt ich ihn für ein Weichei." Da war es vorbei, die Rückkehr ins bürgerliche Leben stand an.

Thom Argauer gab 1972 noch eine weitere Platte mit anderen Musikern heraus, setzte sein Studium an der Kunstakademie fort und arbeitete bis zu seinem frühem Tod 1999 als Lehrer. Tiny Stricker landete beim Goethe-Institut und schrieb weiter Bücher; Wolfgang Görner blieb Ingenieur. Beide sind inzwischen im Ruhestand. Manuela von Perfall zog nach ihrem Abitur nach Florenz, begann eine Goldschmiedlehre, brach bald wieder ab. "Das war nichts für mich, dafür bin ich viel zu ungeduldig." Sie plante, Kinderpsychologin zu werden, studierte Psychologie und Sozialpädagogik, wechselte vor dem Examen in die Presseabteilung eines Verlags, wurde Redakteurin und später freie Journalistin.

Seit 20 Jahren schreibt sie Bücher: Krimis, Kindergeschichten, aber auch ein Aufklärungsbuch und in jüngster Zeit vor allem reich bebilderte Coffee-Table-Books. Über großartige Gastgeberinnen zum Beispiel oder das Leben mit Hunden. Die Liebe zu letzteren liegt in der Familie. Schon der Großvater züchtete auf dem Schloss Spaniels. Manuela von Perfall begnügt sich mit drei Vierbeinern, einigen Hühnern und dem Papagei Kiko - "den habe ich von meinem Vater geerbt". Seit 1988 lebt sie in Greifenberg, allerdings nicht im Schloss, sondern im gemütlich umgebauten Pferdestall, umgeben von ungezählten Fotos und Kunstwerken, darunter viele Bilder, die ihr vor fünf Jahren verstorbener Mann Ali Nasseri gemalt hat. Das Ambiente ist schlicht, Luxus hat ihr nie viel bedeutet. "Aber ich habe ein freies Leben geführt", sagt sie und schüttelt die immer noch langen, blonden Haare zurück.

Ab und an denkt sie noch an ihre wilden Jahre in einer Zeit, die sehr speziell war in ihrer Radikalität und Aufbruchsstimmung, aber eben auch in ihrer Naivität. "Und vielleicht waren wir stellenweise wirklich ein wenig originell."

"Kein Ort ist so frauenfeindlich wie die Uni", sagt Soziologin Barbara Riedmüller in der nächsten Folge am Donnerstag, 19. April.

© SZ vom 17.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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