SZ-Recherche: Open Lux:"Solche Flächen sind wie gutartige Parasiten"

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TU-Professor Alain Thierstein glaubt: Obwohl vielen Geschäften wegen Corona das Aus droht und intransparente Investoren wie René Benko nach immer mehr Immobilien greifen, werden Innenstädte ihren Reiz nicht verlieren

Interview von Nina Bovensiepen

Statt an Schaufenstern werden die Passanten in der Fußgängerzone am ehemaligen Hettlage-Haus noch einige Zeit an einem langen Bauzaun vorbeiflanieren. Die Umgestaltung des Gebäudes in bester Lage ist ein Teil des Projektes Alte Akademie, das die Signa-Gruppe des Österreichers René Benko vorantreibt. (Foto: Robert Haas)

"Aus eins und eins mach drei" - nach diesem Motto sollten Städte mit Großinvestoren wie René Benko und seiner Signa-Gruppe umgehen, empfiehlt Alain Thierstein. Der Professor für Raumentwicklung lehrt an der Technischen Universität München und ist für einen pragmatischen Ansatz: "Wenn Akteure wie Benko mit guten Argumenten herausgefordert werden, machen die mehr, als sie machen müssten." Dann errichteten sie womöglich nicht nur edle Konsumtempel, sondern beteiligten sich an der Stadtentwicklung.

SZ: Ob das Hamburger Alsterhaus, das Berliner KaDeWe, die Alte Akademie in München und viele andere Innenstadtimmobilien - immer häufiger ist der Investor René Benko mit seiner Signa-Gruppe beteiligt. Ist das positiv, weil es zeigt, wie attraktiv die Standorte sind? Oder ist es kritisch zu sehen, weil dabei zum Beispiel gerne Firmenkonstruktionen über die Steueroase Luxemburg zum Einsatz kommen?

Alain Thierstein: Es ist beides. Positiv ist, dass Benko kein Heuschrecken-Investor ist. Sondern jemand, der neue Geschäftsmodelle für Innenstädte entwickeln und eine neue Wendigkeit erzeugen will. Man kann umgekehrt fragen, was würde mit solchen Standorten passieren, wenn es Firmen wie Signa nicht gäbe? Wer will denn heute ein Kaufhaus kaufen? Dazu braucht es neue Fantasie. Ich würde Benko einen Vertrauensvorschuss geben.

Und inwiefern ist es kritisch zu sehen?

Weil sich erst zeigen muss, ob die geplanten Projekte funktionieren. Ob es gelingt, sie in das jeweilige Stadtquartier einzubetten und emotionale Bindung zu erzeugen. Erst dann ist es ein Erfolg.

In München ist Signa beim Karstadt Oberpollinger, bei den Kaufhof-Filialen am Marienplatz und am Stachus, beim Sportscheck, beim Karstadt am Hauptbahnhof, beim Kaut Bullinger und bei der Alten Akademie in irgendeiner Weise beteiligt. Das ist doch eine enorme Macht für einen einzelnen Investor, oder?

Was heißt Macht? Verdrängt er denn jemanden mit tollen Ideen? Karstadt und Kaufhof sind doch ewig dahin gedümpelt. Benko kann an den Standorten ja nichts machen, außer sein Eigentum zu verändern. Solche Flächen sind wie gutartige Parasiten - sie funktionieren nur, wenn das nähere Umfeld supergut ist. Wenn sich der öffentliche Raum entwickelt, wenn die Aufenthaltsqualität angenehm und der Nahverkehr gut angeschlossen sind.

Diese Infrastruktur ist aber aus dem Geld von Kommunen und den Steuern ihrer Bürger finanziert. Gleichzeitig werden Benko-Immobilien über das Steuerparadies Luxemburg gehalten, wie Recherchen von der SZ und internationalen Medienpartnern zeigen. Stimmt das nicht skeptisch?

Per se nicht, nein. Die Europäische Union hat zugelassen, dass es Steueroasen innerhalb ihres Territoriums gibt. Es gibt Monaco, es gibt Luxemburg, Liechtenstein und mehr. Das war eine unausgesprochene Strategie, um gewisse Aktivitäten in Europa zu halten, damit sie nicht auf ferne Gefilde wie die Kaimaninseln abwandern.

Um Abwanderung in Steueroasen zu verhindern, bietet man eigene Steueroasen, das ist die Logik dahinter?

Ein altes merkantiles Prinzip: allen Wohlstand innerhalb der eigenen Grenze behalten. Diese Logik ist keine offizielle Strategie der EU. Für den normalen Steuerzahler ist das nicht schön. Aber so lange die Möglichkeiten da sind, wird jeder Finanzberater einem Investor empfehlen, dies zu nutzen. Dazu gibt es eine spezialisierte Branche mit Unternehmen wie KPMG, EY, Deloitte und Pricewaterhouse Coopers. Man kann das moralisieren, das macht man gern in Deutschland. Aber man kann auch die Faktenlage betrachten. Es wird ja nicht gemacht, um illegales Geld zu parken, das wäre etwas anderes.

Was macht Sie da so sicher?

Zuerst gilt die Unschuldsvermutung. Wirecard zeigt uns aber auch, dass man nie sicher sein darf. Ich bin keine Investigativjournalistin. Die Signa Gruppe ist ja schon länger am Markt, Verdachtsmomente wären wohl an die Oberfläche geraten.

Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter sagt, Benko gehöre die halbe Innenstadt und man könne das nicht aufhalten. Sind Kommunen den Investoren hilflos ausgeliefert?

Eigentlich sind beide Seiten richtig gefordert in dieser Lage. Aus eins und eins mach drei, müsste die Strategie lauten. Die Stadt müsste mit Signa gemeinsam Projekte definieren, in München zum Beispiel die eher abschreckende Gegend um die Prielmayerstraße und Schützenstraße herum modernisieren. Oder man könnte darüber verhandeln, ob Signa auch in den sich entwickelnden Subzentren von Städten bereit ist, etwas zu tun. Wenn Akteure wie Benko mit guten Argumenten herausgefordert werden, machen die mehr, als sie machen müssten.

(Foto: SZ-Grafik)

Trotzdem: Ist es nicht fahrlässig, wenn der wertvolle Grund in den Städten keiner Regulierung unterliegt?

Das ist ein großes Problem, das wir immer wieder mit Studierenden debattieren. Welche Instrumente gibt es dafür? Ein Mietpreisdeckel wie in Berlin? Dann wird noch weniger gebaut als vorher. Aber über ein paar Dinge in der Rechtsordnung sollte man nachdenken. Was München bereits macht mit der sogenannten sozialgerechten Bodennutzung, müsste in ganz Deutschland gemacht werden. Das heißt konkret, Planungsmehrwerte abschöpfen. Investoren werden im Gegenzug für Baurecht, aber auch für die Erweiterung von Baurechten an den Kosten für Infrastruktur beteiligt, also bei der Finanzierung von Straßen, Wegen, Grünflächen, Wohnräumen. Es ist ja richtig: Grundeigentum ist sozialpflichtig, wie Hans-Jochen Vogel schon immer gesagt hat. Ich bin als Wissenschaftler allerdings an der Frage interessiert, was bewirken Eingriffe wirklich. Und bei vielem stellt man fest, es wirkt nicht oder ist sogar kontraproduktiv.

Begünstigt die schwierige Lage vieler kleiner Einzelhändler durch Corona das Vordringen finanzstarker Investoren?

Wichtig ist, dass der Betreiber auch Eigentümer ist, sonst wird man leichter verdrängt. Aber das hat per se nichts mit Größe zu tun. Entscheidend für attraktive Innenstädte ist, und das ist Teil des Benko-Modells, dass die Menschen Geschichten erzählt bekommen wollen. Sie möchten gut und freundlich beraten werden, eine Kleinigkeit essen und trinken, etwas erleben. Das gilt abgewandelt für kleine Einzelhändler, die mal nach Hause liefern, am Telefon erreichbar sind. Alles andere, im Callcenter hängen ohne Ansprache, bekommen die Leute woanders.

Wird die Pandemie das Gesicht der Innenstädte nachhaltig verändern?

Alles, was wir jetzt online ordern, werden wir wahrscheinlich auch künftig online bestellen. Viele Menschen haben gemerkt, dass sie sich so super organisieren können, Lieferungen in den Tagesablauf integrieren. Aber trotzdem will ich als soziales Wesen bestimmte Dinge mit Menschen tun. Der Mensch lebt vom Sehen und Gesehenwerden. Insofern haben die Innenstädte eine Zukunft. Aber sie müssen sich wandeln.

© SZ vom 09.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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