SZ-Forum:Es geht um die Zukunft der Stadt

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Knapp 300 Münchner diskutieren beim SZ-Forum am Mittwochabend mit Experten über explodierende Mietpreise, Wohnungsmangel und Verdrängung. Die Situation verlangt auch nach unkonventionellen Lösungen

Von Berthold Neff, München

Und wo bleiben die Münchner, wenn ihre so schöne Stadt unbezahlbar wird? Sie kommen, um über diese Entwicklung zu diskutieren, vielleicht sogar in der Hoffnung, noch etwas daran verändern zu können. Knapp 300 Besucher haben am Mittwochabend zusammen mit den Experten auf dem SZ-Podium in der Freiheizhalle an der Donnersbergerbrücke erörtert, wie die Gentrifizierung, also die Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerung aus ihren Vierteln, zu stoppen ist. Eine Stunde lang skizzierten die Experten, wie sie die Lage einschätzen und mit welchen Methoden sie sicherstellen wollen, dass die soziale Mischung in gewachsenen Vierteln erhalten bleibt.

Bürgermeister Josef Schmid (CSU) räumte ein, dass seine Partei erst vor einigen Jahren erkannt hat, dass die Stadt mit dem Instrument der Erhaltungssatzung und dem Vorkaufsrecht durchaus Chancen habe, die Entwicklung einzudämmen. Nun versuche die Stadt, den geförderten Wohnungsbau mit mehr Geld als bisher zu unterstützen. Christian Stupka, Vorstand der Genossenschaft Wogeno, begrüßte das zwar, forderte aber angesichts der Dramatik eine radikale Lösung. Wenn ein so wichtiges Gut wie die Wohnung nur noch für die wenigsten erschwinglich sei, dürften städtische Flächen nur noch für den Mietwohnungsbau verkauft werden, nicht aber für den Bau von Eigentumswohnungen.

Kammerspiel-Intendant Lilienthal, Investor Schorn, Bürgermeister Schmid (CSU), Moderator Soyer, Stadtbaurätin Merk und Genossenschaftler Stupka. (v.l.) (Foto: Lukas Barth)

Matthias Lilienthal, der designierte Intendant der Kammerspiele, berichtete von seiner ganz persönlichen Wohnungssuche. Nun lebe er in der Baaderstraße und zahle für 67 Quadratmeter 1480 Euro. Er könne sich das zwar leisten, "aber ich finde den Ausschluss von Geringverdienern eine totale Sauerei". Ein Künstler wie Rainer Werner Fassbinder, nach dem der Platz vor der Freiheizhalle benannt ist, hätte im heutigen München keinen Platz mehr. Dem widersprach Bürgermeister Schmid und verwies auf das städtische Bemühen, durch Bebauungspläne eine gute Mischung zu sichern, etwa für das Kreativquartier. Schmid: "Das könnte Fassbinder gefallen."

Jürgen Schorn von Bauwerk Capital, der die Investorenseite auf dem Podium vertrat, verwies auf das Dilemma, dass die hohe Attraktivität Münchens einen immensen Zuzug und damit sehr hohe Grundstückspreise zur Folge habe. Als er vor 17 Jahren nach München gezogen sei, zunächst nach Trudering, habe er das Wort Gentrifizierung noch gar nicht gekannt. Nun sehe er allenthalben, wie sich die Stadt verändere. Es werde nur durch ein gemeinsames Vorgehen gelingen, die Stadt so zu gestalten, "dass alle Bewohner die Chance haben, mit ihrem Einkommen hier zu leben". Schorn: "Wir müssen Dampf aus dem Kessel nehmen."

Die Gegend um die Freiheizhalle zeigt, wie ein Quartier sich verändert. Das einstige Turbinenwerk für Bahnstrom ist heute von Wohnbauten umgeben. (Foto: Lukas Barth)

Auch Stadtbaurätin Elisabeth Merk, die im Lehel wohnt, berichtete aus eigener Erfahrung von den zum Teil dramatischen Veränderungen in der Stadt. Inzwischen habe sie den Eindruck, schon die zweite oder dritte Welle der Transformation zu erleben. Christian Stupka, der schon lange in Untersendling wohnt, mahnte, die Gesellschaft dürfe ein so knappes Gut wie den Wohnraum nicht den Gesetzen des freien Marktes ausliefern. Und auch die Menschen dürften es nicht klaglos hinnehmen, dass sich ihre Stadt so verändere, dass sie nur noch für die Gutverdienenden bezahlbar sei. Jeder müsse sich fragen: "Was kann man selber auf die Beine stellen?"

Wie ernst die Lage auf dem Wohnungsmarkt inzwischen ist, wurde anhand der Fragen aus dem Publikum deutlich. Es meldeten sich Mieter, deren Haus von Investoren übernommen wurden und die nun Gefahr laufen, ihre Bleibe zu verlieren. Bürgermeister Schmid wurde gefragt, wann der CSU-geführte Freistaat die vom Bund beschlossene Mietpreisbremse einzuführen gedenke (bald, so Schmid). Willy Schneider aus Pasing fragte Stadtbaurätin Elisabeth Merk, wie sein Viertel den Gartenstadtcharakter bewahren könne. "Wie können wir diesen Irrsinn stoppen?" Merk verwies darauf, dass in fünf Gebieten in der Stadt testweise versucht werde, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Investor Schorn sagte, eine solche Verweigerungshaltung sei wenig sinnvoll. Es müsse versucht werden, mehr Flächen für den Wohnungsbau auszuweisen: "Wir müssen diesen Veränderungen positiv entgegenschauen." Weil so viele Menschen Wohnungen kaufen wollten, steige eben der Preis.

© SZ vom 25.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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