SZ-Fest:Helden der Nacht

Lesezeit: 2 min

Die SZ ehrt ihre Zusteller - darunter 54 anerkannte Flüchtlinge

Für Menschen, die seit Jahrzehnten jede Bequemlichkeit eines warmen Büros gewohnt sind, ist dieser Job gewiss unvorstellbar: zu nachtschlafender Zeit aufstehen, bei jedem Wetter rausgehen, Zeitungen schleppen und treppauf, treppab in Briefkästen und vor Haustüren legen. Für Ikrahim Badshah und Anat Gul Alfrieli ist diese Arbeit eine Chance: endlich in Deutschland anzukommen, heimisch zu werden und sich langsam eine neue Existenz aufzubauen. Seit vergangenem Jahr sind die beiden in Deutschland, hier endete im Sommer 2015 ihre Flucht aus Pakistan. Beide sind inzwischen als Flüchtlinge anerkannt und dürfen arbeiten - und tun das für die SZ-Leser: Seit einigen Monaten tragen sie frühmorgens Zeitungen aus. Der 20-Jährige Ikrahim Badshah stellt rund 170 Haushalten rund um den Kolumbusplatz die tägliche SZ zu, sein 25-jähriger Freund Anat Gul Alfrieli ist in Milbertshofen unterwegs. "Es ist eine gute Arbeit, ich bin viel an der frischen Luft und lerne das Viertel kennen", sagt Badshah. Sein Kollege fährt dafür sogar jede Nacht erst aus dem Landkreis Dachau nach München - reichlich Mühe für eine Arbeit, die für sie aber ein Anfang für ein neues Leben sein könnte.

Seit Dezember 2015 hat die Logistik-Abteilung der Süddeutschen Zeitung 110 Arbeitsverträge mit anerkannten Flüchtlingen abgeschlossen, 54 sind derzeit in Stadt und Landkreis München jeden Morgen unterwegs. "Der Verlag sieht sich hier ganz bewusst als Übergangs- und Einstiegsarbeitgeber in den deutschen Arbeitsmarkt", sagt Logistik-Chef Jürgen Baldewein. Die Arbeit am frühen Morgen mache es Zustellern wie Ikrahim Badshah möglich, eigenes Geld zu verdienen und tagsüber Sprach- und Integrationskurse zu besuchen. Auch für den Verlag bedeutet das Programm aber zunächst Mühe: Für Mitarbeiter, die die Zusteller betreuen, wurden Englisch-Kurse organisiert, für Flüchtlinge gibt es E-Learning-Programme, die ihnen zeigen, was von ihnen erwartet wird.

Natürlich hilft die Beschäftigung der Flüchtlinge auch, Engpässe beim Vertrieb zu vermeiden. Denn der Arbeitskräftemangel macht es auch für Baldewein und seine Vertriebspartner schwierig, Zusteller zu finden. Umso wichtiger sei die Anerkennung für die rund 1200 Männer und Frauen, die jede Nacht rund 135 000 Zeitungen austragen. Zum vierten Mal hatte deshalb der Süddeutsche Verlag (SV) die Austräger und ihre Familien zu einem großen Fest in die Unternehmenszentrale nach Steinhausen eingeladen, mit großem Büffet, Artistik und Tanz. Es sollte ein "Dank fürs tägliche Aufstehen zu nachtschlafender Zeit und ihre Zuverlässigkeit" sein, wie SV-Geschäftsführer Stefan Hilscher sagte. Für ihn seien die Zusteller einfach die "Helden der Nacht". Viele von ihnen seien seit Jahrzehnten für die SZ unterwegs.

Und auch die Redaktion wisse, was sie an den Austrägern habe, so Kim Björn Becker, SZ-Innenpolitik-Redakteur: "Ohne Sie wären wir ungelesen", sagte er zu den rund 450 Gästen. Er war selbst als Zusteller in Schwabing auf Tour und wisse seitdem: Das wirkliche Leben spiele sich nicht in politischen Zirkeln in Berlin ab, sondern in "den Vierteln und Straßen der Stadt", in denen sie unterwegs sind. So gesehen erleben Ikrahim Badshah und Anat Gul Alfrieli gewiss keinen schlechten Einstieg in das ganz normale deutsche Leben.

© SZ vom 24.10.2016 / kc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: