Subkultur:Eine Seekuh im Weltall

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Spurensuche am alten Viehhof: Die Inspiration für seine bunten Kunstwerke holt sich Sven Biller aus Comic- und Tattoo-Heften - oder einfach bei Spaziergängen durch München

Von Lea Binzer, München

Schon auf dem Weg von der Poccistraße zur Tumblingerstraße im Schlachthofviertel sind die bunten und im Sonnenlicht leuchtenden Farben der Graffiti auf der Beton- und Backsteinmauer zu sehen, die die Tumblingerstraße auf einer Seite begrenzen. Sven Biller, 42, bleibt vor der Mauer stehen und betrachtet sie eingehend. "Früher habe ich in einer WG ganz in der Nähe gewohnt", sagt er. "Da war ich oft hier und habe mir Inspirationen für meine Werke geholt. Aktuell finde ich zum Beispiel die fetten Outlines der Graffiti-Schrift hier an der Mauer gut." Biller betritt das Areal hinter der Mauer und bleibt nach kurzer Zeit erneut stehen. "Schade, von den Motiven, die mich zu einigen meiner Bilder inspiriert haben, ist nichts mehr da. Die Gebäude wurden bedauerlicherweise abgerissen", sagt er und zeigt auf die Ruinen vor sich.

Sven Biller ist Künstler. Er malt. Und er ist ständig auf der Suche nach Motiven und Ideen für seine Werke. Deswegen zieht er oft durch München - auch wenn seine Heimatstadt nicht mehr viel hergibt, weil er, wie er sagt, schon fast alle Orte kenne, die für ihn interessant seien. Und weil München ärmer wird an Subkultur. Nur im Werksviertel am Ostbahnhof oder an der Donnersbergerbrücke findet er aktuell noch Inspiration. "Da spüre ich noch öfter gute Motive auf, die meisten aber in jüngster Zeit auf Reisen in anderen Städten", sagt Biller.

"Comics fand ich schon immer toll, diese Verbindung aus Sprechblasen und Gemaltem", sagt Sven Biller. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Er läuft weiter. Dann findet er doch noch ein Motiv, das ihn derart anspricht, dass er es sofort fotografiert: das Armband an einer aufgesprayten Frau. Dieses Accessoire kann er sich ausgeschmückt als gemaltes Bild vorstellen. Oftmals interessieren Biller nur Details. Doch auch das Gesamtbild kann entscheidend sein, wie im Falle eines Stickers, den Biller zufällig entdeckt. Darauf zu sehen ist eine Darth-Vader-Mickymaus. "Auf diese einfache Verknüpfung von zwei Idolen zu kommen, ist einfach genial", erklärt er.

Einem eindeutigen Genre oder Stil zuzuordnen sind seine Bilder nicht. "Dadurch habe ich die Freiheit, das zu malen, was ich für richtig und ästhetisch halte. Ich bin keinem Stil unterworfen. Ich setze die Regeln, denn ich muss hinter dem stehen, was ich male", erklärt er. Biller lässt sich vor allem von Graffiti und Urban Art, wie er sie an diesem sonnigen Augusttag an der Tumblingerstraße entdeckt hat, inspirieren. Aber auch von Cartoons, Comic- und Tattoo-Heften. "Comics fand ich schon immer toll, diese Verbindung aus Sprechblasen und Gemaltem. Früher waren das die Figuren von Walt Disney, heute vor allem Underground- oder Marvel-Comic-Helden", erläutert Biller. Bei Tattoos verwende er gerne Seemann-Motive wie Anker, Schiffe oder Fische.

Inspiration holt sich Biller unterwegs: auf Reisen, in der Stadt, beim Schlendern. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Gerade die Kombination von Schrift und Figuren haben es Biller angetan, aber auch plakative Motive oder die Verknüpfung von Motiven. So malte er vor Kurzem eine Seekuh, umgeben von einer Sprechblase, Peter Pan und einem Satelliten im All. Auch Mickymaus mit einem Hirschschädel als Kopf kann dabei rauskommen. "Für mich sind diese Kombinationen stimmig", sagt Biller auf dem Weg zu seiner Wohnung in einer ruhigen Straße hinter dem Deutschen Museum, in der sich sein Atelier befindet. "Zum Teil haben die Motive eine ähnliche Form und passen deshalb gut zusammen", erklärt Biller. Auf einem seiner Bilder ist etwa ein Sepia zu sehen. Dieser längliche Tintenfisch umschlingt einen Hotdog - statt Tinte spritzt Senf aus einer Tube.

Trotz aller Freiheiten, die sich Biller in seinen Werken eingesteht, liegt diesen ein roter Faden, eine Entwicklung zu Grunde: In seinen Werken befindet sich meist eine Figur oder ein Szenario im Vordergrund, eingebettet von einer oftmals humorvollen Story.

Biller wuchs in der Nähe von Aschaffenburg auf. Es studierte in Frankfurt Geschichte, Kunstgeschichte und Politik. Gemalt habe er schon immer, erzählt er, nur habe er nicht das Selbstbewusstsein gehabt, sich für ein Kunststudium zu bewerben. Kunstgeschichte habe zwar eine gute Wissensgrundlage für verschiedene Stile ermöglicht, sei aber zu mittelalterlich und zu architektonisch geprägt gewesen. Später absolvierte er noch ein Fernstudium für Kunst- und Kulturmanagement - eine sehr theoretische Materie. Heute ist er im Online-Marketing tätig - dafür zog er vor zehn Jahren nach München.

Bemalt werden nicht nur Leinwände, sondern auch Skateboards und eine Bar am Gärtnerplatz. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Für das Interview opfert Biller seine Mittagspause. Er kommt mit dem Fahrrad zum alten Viehhof gedüst. Er ist sportlich schick angezogen. "Am Anfang bin ich mit meinem Rad und Fotoapparat durch München gefahren, immer auf der Suche nach guten Motiven." In nahezu jeder freien Minute setzt Biller seine gesammelten Inspirationen in Bilder um. Morgens steht er extra früher auf, um Zeit zum Malen zu haben. Aber als Haupterwerb sieht er sein künstlerisches Schaffen nicht. "Auf Knopfdruck kreativ sein, geht bei mir nicht. Ein Motiv für ein Bild muss mich überfallen. Und ich hätte Angst, dass mir meine Kreativität verloren geht, wenn ich nur noch malen würde", sagt Biller.

Als Künstler nennt er sich Molusk, als Anlehnung an den Song "The Mollusk" der Rockband Ween. "Ich habe die Platte gesehen und dachte mir: cooler Songname und cooles Plattencover, das aus einem zusammengesetzten Fisch-Kraken-Krabben-Wesen besteht. Das hat perfekt zu meiner Art zu malen gepasst", sagt Biller.

In seinem Atelier, einem kleinen Zimmer seiner Wohnung, steht auf einer Staffelei Billers zuletzt vollendetes Bild, das auf Leinwand gemalt ist. Zu sehen ist ein Chamäleon mit einem Superman-Emblem, das mit seiner Zunge eine Rakete fängt. Die Rakete ist aus dem Comic "Tim und Struppi" entlehnt. Auch an den Wänden hängen seine Bilder, daneben stapeln sich Comic- und Tattoo-Hefte in Regalen, einige liegen auf einer kleinen Couch. Neben Leinwänden bemalt Biller momentan vor allem Skateboards, etwa mit singenden Rollmöpsen. Meist verwendet er dafür Farben auf Akrylbasis, "da sie schnell trocknen und der Aquarelleffekt super ist", sagt Biller.

Vom 30. August an ist ein Teil seiner Werke in der Bar "404 - Page Not Found" in der Corneliusstraße zu sehen. Nicht weit davon entfernt befindet sich die Divebar. Den Besitzer dieser Kneipe hat Biller vor ein paar Jahren auf dem Oktoberfest kennengelernt. Seit 2016 arbeitet er an der Bemalung der Barwände, immer wenn er Zeit dazu hat. Er greift da gerne auf Rock -'n'- Roll-Motive von Tattoos zurück - und andere Dinge, die er bei seinen Streiftouren entdeckt.

© SZ vom 22.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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