Streit um Israel-Kritik:Fragwürdige Vorzensur

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Besorgte Stimmen zu Antrag von Münchner CSU und SPD

" ,Antisemitische Stimmungsmache' " (12. Juli, München):

SPD und CSU gehen zu weit

Da möchte man gerne wissen, ob die Rathauskoalition von SPD und CSU die im November 2015 von der EU-Kommission beschlossene Kennzeichnungspflicht Israels von Produkten aus israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten, wie die israelische Regierung, als "versteckten Antisemitismus" ansieht. Bekanntlich muss seither in allen 28 Mitgliedstaaten die korrekte Herkunftsbezeichnung für Obst, Gemüse, andere landwirtschaftliche Produkte wie zum Beispiel Wein und Kosmetika genannt werden, wenn diese aus dem Westjordanland, Ost-Jerusalem und von den Golanhöhen eingeführt werden. Resultat aus den zuvor erfolglosen Bemühungen, den Siedlungsbau in Ost-Jerusalem und im Westjordanland zu beenden, der gegen die Genfer Konvention verstößt und damit völkerrechtswidrig ist. Außerdem möchte man wissen, wie die Rathauskoalition zur Forderung der Menschenrechtsorganisation amnesty international steht, die sich anlässlich des Jahrestages der 50-jährigen Besatzung im Juni 2017 an die Staatengemeinschaft wandte: Um ihrer "völkerrechtlichen Verantwortung gerecht zu werden, müssen Drittstaaten daher verhindern, dass Produkte aus den völkerrechtswidrigen Siedlungen in ihre Märkte eingeführt werden. Drittstaaten haben darüber hinaus die Pflicht zu verhindern, dass auf ihrem Staatsgebiet ansässige Unternehmen in den Siedlungen wirtschaftlich aktiv werden oder mit dort produzierten Gütern handeln". Günther Wagner, Lauf

Liberal und weltoffen?

Antisemitismus muss bekämpft werden, keine Frage. Aber wappnen müssen wir uns auch gegen eine Antisemitismus-Schnüffelei, mit der Israels völkerrechtswidrige Besatzungspolitik vor legitimer Kritik geschützt werden soll. Wer die gewaltsame Vertreibung von 750 000 Palästinensern im Jahr 1948 "ethnische Säuberung" nennt, ist kein Antisemit, sondern benennt drastisch einen von israelischen Historikern erforschten geschichtlichen Tatbestand. Wer die Boykottkampagne BDS unterstützt oder rechtfertigt, ist nicht allein deswegen schon ein Antisemit (schließlich tun das auch viele Israelis), noch stellt er das Existenzrecht Israels in Frage. Er will lediglich die friedenverhindernde, also selbstzerstörerische Besatzungspolitik Israels mit einem Mittel beenden, über dessen Zweckmäßigkeit und Legitimität man streiten kann (im Fall Südafrikas war es erfolgreich). Der Boykott richtet sich ja nicht gegen Juden als Juden, sondern gegen das staatliche Unrecht einer schleichenden Annexion unter dem Deckmantel der Selbstverteidigung.

Schließlich: für die Programmgestaltung im Gasteig oder im Eine-Welt-Haus wie auch in den Kammerspielen ist weder der Stadtrat noch der Kulturreferent noch der Oberbürgermeister zuständig. Eine Vorzensur durch den Immobilienbesitzer ist im Grundgesetz nicht vorgesehen. Wenn Gideon Levy Deutscher wäre und in deutschen Zeitungen so mutig und unbeirrbar deutsches Unrecht anklagte, wie er in Israel israelisches Unrecht geißelt, würde München ihm den Geschwister-Scholl-Preis verleihen. Und dieser tapfere, aufrechte Humanist soll in einer Stadtgesellschaft, die sich für liberal und weltoffen hält, nicht auftreten dürfen? Ja wo leben wir denn? Hans Krieger, München

© SZ vom 17.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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