Streik des Klinikpersonals:Unterbesetzung ist Normalzustand

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Kritik am Arbeitskampf ärgert die Belegschaft - weil der sich auch dagegen richte, dass in der Versorgung dauerhaft gefährliche Mängel akzeptiert würden

"Notbetrieb am Klinikum wegen Warnstreiks" vom 8. Oktober:

Die von Verdi während des Streiks angebotene Notvereinbarung bezeichnet der Chefarzt der Neurologie gegenüber der Presse "als unzumutbar und Gefährdung von Menschenleben". Bei uns Beschäftigten des Klinikums Nürnberg hat diese Äußerung Zorn ausgelöst. Unterstellt dies doch, wir Pflegekräfte, medizinisches Personal, Therapeutinnen und Therapeuten, Servicekräfte würden Menschenleben aufs Spiel setzen, weil wir in den Streik treten. Dabei bringt uns eben der Normalzustand auf die Barrikaden, unter dem wir wegen Unterbesetzung und Arbeitsdruck den Patienten allzu oft nicht die Fürsorge geben können, die ihnen zusteht. Es ist der eigentliche Grund für unseren Streik, dass wir gezwungen werden, täglich an der Grenze der Belastung und Sicherheit zu arbeiten.

Und nun werden wir genau von denjenigen kritisiert, die für die Organisation und Leitung eines solchen Klinikums verantwortlich sind? Klagen erreichen uns aus allen Bereichen des Klinikums. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Fachkräftemangel in der Pflege auch in der Öffentlichkeit weithin bekannt ist. Doch wissen die meisten unserer Mitbürger nicht, was dies konkret für die Patienten zur Folge hat: Auf den Allgemeinstationen arbeitet die Pflege nachts allein, um bei voller Belegung 30 Patienten zu versorgen. Eine Pflegekraft wird zusätzlich als Springer für drei bis vier Stationen eingesetzt, um die Kollegen zu unterstützen. Was, wenn es auf einer Station plötzlich zwei Patienten zeitgleich sehr schlecht geht? Wem wird zuerst geholfen? Zudem sind auf den Intensivstationen Kollegen teils gezwungen, grundlegende Dinge wie Körperpflege in der Versorgung ausfallen zu lassen, da sie zeitgleich drei intensivpflichtige, teils in lebensbedrohlichen Zuständen befindliche Patienten versorgen müssen. Auch die Kommunikation kommt meist infolgedessen zu kurz. Von der Mobilisation genesender Patienten ganz zu schweigen.

Die "Covid-Bereiche" der Intensivstation werden sodann teils mit zwei Fachkräften betrieben, wovon nur eine in den Bereich kann, um die Patienten zu versorgen, während die andere sich darum kümmert, die notwendigen Mittel anzureichen, die Dokumentation zu führen, Blutproben et cetera anzunehmen und notfalls parallel die Schichtleitung und Koordination zu übernehmen. Es befinden sich vier beatmete Patienten im Bereich. Einschleusen dauert knapp zehn Minuten. Im Notfall ...

Schade, dass diejenigen, die diesen Zustand verbessern könnten, ihn nur dann kritisch betrachten, wenn es öffentlichkeitswirksam wird, und dann auch noch gegen die Personen richten, die ihn tagtäglich aushalten müssen. Stillschweigend wird er sonst hingenommen, sogar gebilligt, und erst wenn es zum Vorteil gereicht, wird "Patientenwohl" groß geschrieben. Wir können meist nicht auf die notdienstlich vereinbarte "Wochenendbesetzung" reduzieren, da wir bereits dauerhaft auf diesem Niveau arbeiten.

Für uns Beschäftigte ist Gesundheit ein hohes Gut. Wir als Pflegende wissen, dass wir selbst schnell Patienten sein können. Deshalb kämpfen wir für bessere Bedingungen. Wir wollen weder als Kostenfaktoren gelten noch als Geldquelle dienen, sondern in einem Gesundheitswesen arbeiten, das für die Menschen da ist. Tatjana Sambale, Schwabach

© SZ vom 14.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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