Stevie Wonder in München:Die Legende singt wieder

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Seit 24 Jahren war Stevie Wonder nicht mehr in Deutschland. Bei seinem Konzert in der Münchner Olympiahalle zeigt er, warum er so viele Platten verkauft hat: Er ist ein genialer Musiker.

Beate Wild

Eine Musiklegende ist man oder ist man nicht. Den Status bekommt man zugewiesen, wenn man hart daran gearbeitet hat. In der Regel wird er Bands verliehen, die Großes geleistet, Millionen von Platten verkauft und jede Menge Musikpreise eingesackt haben.

Stimme kein bisschen gealtert: Stevie Wonder in München (Foto: Foto: AFP)

Wenn man so eine Legende ist, ist es unerheblich, ob man ununterbrochen aktiv im Musikgeschäft ist, wie etwa die Rock-Opas von den Rolling Stones, oder sich auf seinen Lorbeeren ausruht. Stevie Wonder hat 20 Jahre lang letztere Variante bevorzugt. Mehr als zwei Jahrzehnte ist er nicht mehr aufgetreten, hat kein nennenswertes Album veröffentlicht.

Doch nun hat er sich dazu entschlossen, auf die Bühne zurückzukehren. Stevie Wonder, die lebende Soullegende, ist wieder auf Tournee. In Deutschland war er seit 24 Jahren nicht mehr, also seit "I just called to say I love you", seinem kommerziellen Höhe-, künstlerisch aber eher Tiefpunkt.

Die Fans sind ganz aus dem Häuschen als er am Donnerstagabend im Münchner Olympiastadion von seiner attraktiven Tochter auf die Bühne gebracht wird. Auf den ersten Blick schaut er aus wie immer. Nach hinten zusammengebundene Rastazöpfchen, schwarze Sonnenbrille. Etwas fülliger ist er geworden, er trägt ein weites schwarzes Hemd, in dem er ein bisschen aussieht wie der Priester einer Gospelgemeinde.

Seine 58 Jahre sieht man dem Sänger nicht an. Eigentlich denkt man ja, dass Stevie Wonder viel älter sein müsste als knapp 60, so alt sind seine Songs schon. Aber kein Wunder, hatte er doch seinen ersten Nummer-Eins-Hit im zarten Alter von 13 Jahren. Damals als "Little Stevie". 1961 begann seine Karriere. Er wurde vom legendären Motown-Chef Berry Gordy unter Vertrag genommen. 1962 nahm er seine erste Platte "A tribute to uncle Ray" auf.

Gemeint war sein musikalisches Vorbild Ray Charles. Seinen ersten Hit landete Wonder mit "Fingertips, Part 2", bei dem er Mundharmonika spielte und sang. Mit der Mundharmonika beginnt er auch sein Konzert. Und er klatscht, um das Publikum zu animieren. Es ist dieses typische Stevie-Wonder-Klatschen. Etwas unbeholfen wie ein kleines Kind schlägt er die Hände zusammen und gibt den Rhythmus vor.

Mehr als einen nostalgischen Abend darf man nicht erwarten. Eine neue Platte hat er nicht mitgebracht. Aber darum geht es nicht. Man ist hier, um den letzten echten Helden des musikalischen Märchens Motown zu bestaunen und vielleicht ein bisschen von der Aura zu erahnen, die dieses amerikanische Soullabel einst umgab.

Ein gutes Dutzend Musiker hat Wonder mitgebracht, vorne drückt der Chef die Tasten und wirft seine Zopfmähne in diesen für ihn typischen Schaukelbewegungen hin und her. Und als er dann mit "Master Blaster" den Hitreigen eröffnet, ist klar, dass seine Stimme kein bisschen gealtert ist.

Wonder genießt das Konzert, das merkt man. Immer wieder lässt er seine Zuhörer mitsingen, animiert sie zum Mitmachen. Und er zeigt seinen sagenumwobenen Humor, als er "Muss i denn zum Städtele hinaus" und "O Tannenbaum" zum Besten gibt. Zwischenzeitlich wird das Konzert etwas langatmig, vor allem an den Stellen, in denen er das Publikum mitsingen lässt. Trotzdem: An Wonders Wendigkeit an den Tasten hat sich nichts geändert und seine größte Gabe ist und bleibt wohl seine unnachahmliche Stimme.

Zwischendurch ruft er ins Auditorium, wenn jemand da sei, der wirklich gut singen könne, der solle auf die Bühne kommen. Dutzende eilen nach vorne. Rauf zu Wonder schaffen es nur vier, zwei Männer und zwei Frauen. Sie dürfen nacheinander kurz mit Wonder und seiner Band performen und zeigen, was sie drauf haben. Drei Kandidaten machen das ganz gut. Eine der beiden Frauen muss zugeben, als sie an die Reihe kommt, dass sie gar nicht singen kann und wird daraufhin von einem Ordner sofort von der Bühne gebracht.

Dann tischt der Soulkönig auf, was ihn berühmt machte: "Signed, sealed, delivered", "Don't you worry 'bout a Thing", "Superstition", "Sir Duke", "Part-Time Lover" und natürlich das unvermeidliche "I just called to say I love you".

Stevie Wonder, der nach seiner Geburt im Brutkasten erblindete, hat in den vergangenen 20 Jahren streng genommen kein wichtiges Album mehr gemacht. Aber zu dem Zeitpunkt waren schon seine Monumente der schwarzen Musik in der Welt, die die Ewigkeit überdauern werden. Insofern ist es am Donnerstagabend eine Show außerhalb der Zeit. Es geht um Musik, die sich um Platzierungen in der Hitparade und Plattenverkäufe keine Sorgen machen muss.

Doch Wonder zeigt eine Energie wie ein Neuling im Musik-Business. Er singt seine Lieder mit einer solchen Leidenschaft, als hätte er sie erst gestern kombiniert. Von Altersträgheit keine Spur.

Nach fast zweieinhalb Stunden verlässt Wonder gut gelaunt die Bühne. Eine reife Leistung. Nur auf das musikalische Verbrechen "I just called to say I love you" hätte er gut und gern verzichten können. Aber wir verzeihen ihm, wenigstens hat er "Happy Birthday" nicht gespielt.

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