Steinmeier: Wahlkampf in München:Nordlicht im Bierzelt

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Die Medien attestieren Außenminister Steinmeier den Charme eines Buchhalters. Doch in einer Atmosphäre aus der Brathendlduft, Bier und Schweiß bewährt sich der SPD-Kanzlerkandidat als Wahlkämpfer.

Wolfgang Görl

Am Ende ist der Jubel groß, die Leute im gut, aber nicht komplett besetzten Truderinger Festzelt erheben sich zum rhythmischen Klatschen, und Frank-Walter Steinmeier, das blaue Hemd vom Hals bis zum unteren Brustbereich in Schweiß getaucht, reckt triumphierend die Arme empor. Der Bundesaußenminister, Vizekanzler und Kanzlerkandidat hat keine polemische Bierzeltrede nach Art des Politischen Aschermittwochs gehalten, aber es hat zumindest den Anschein, dass Steinmeier, zwei Wochen vor der Europawahl, seine Münchner Parteigenossen noch einmal ordentlich motiviert hat.

Der Chefdiplomat als Bierzeltwahlkämpfer: Steinmeier bewährt sich in München. (Foto: Foto: ddp)

Ehe Steinmeier zur knapp einstündigen Rede anhob, ehrte SPD-Bundestagskandidatin Claudia Tausend den ehemaligen Landtagsabgeordneten Hermann Memmel für dessen fünfzigjährige Mitgliedschaft in der Partei, wobei sie Memmels Kampf gegen die Trinkgeldsteuer und das wilde Biesln auf dem Oktoberfest besonders hervorhob - eine beeindruckende Bilanz jahrzehntelangen politischen Wirkens.

Wie in Bayern üblich, erfolgt der Einmarsch des wichtigsten Bierzeltredners zu den Klängen des Defiliermarschs, und man hat tatsächlich den Eindruck, Steinmeier, dem die Medien ja gern den Charme eines Buchhalters attestieren, fühle sich wohl in dieser Atmosphäre aus der Bier, Schweiß und Brathendlduft. Und so beginnt er seine Rede gleich mal mit einer Portion Selbstironie, spricht von sich - beinahe entschuldigend - als "Nordlicht" und "Preuße", ja auch Gesine Schwans Schlappe bei der Bundespräsidentenwahl am Vortag spart er nicht aus: "Gestern ging's der SPD wie Bayern München: Wir sind nur zweiter Sieger geworden."

"Neustart der sozialen Marktwirtschaft"

Aber bald wird es ernst, es geht um die Krise - was sonst? "Wie kommen wir raus aus dem Schlamassel, in das uns manche Helden von der Wall Street geführt haben", fragt Steinmeier. Ein Patentrezept, das sich in einem einzigen Satz zusammenfassen ließe, liefert der Vizekanzler nicht; stattdessen formuliert er eine Liste sozialdemokratischer Forderungen und Grundsätze. "Was wir brauchen, ist eine Wirtschaft, in der wieder mit langfristiger Vernunft gearbeitet wird, und ein handlungsfähiger Staat, der sich schützend vor die Bürger stellt." Der Glaubensgrundsatz, die Wirtschaft schaffe sich ihre Regeln selbst und der Staat habe sich da rauszuhalten, sei gerade gescheitert.

Steinmeier fordert einen "Neustart der sozialen Marktwirtschaft", und dabei gebe es augenblicklich zwei Testfälle: Karstadt und Opel. Was Letzteren betrifft, dürfe man den Autobauer jetzt nicht "an den nächsten Besten verschenken". Wenn sich die SPD nicht von Anfang an für die Rettung von Opel stark gemacht hätte, "würden heute schon schwarze Fahnen an den Werktoren wehen". Generell gehe es darum, Industriearbeitsplätze auch in Zeiten der Krise im Lande zu halten.

Allein auf den Dienstleistungssektor zu setzen, sei der falsche Weg. "Ein Land wie dieses kann nicht davon leben, dass wir uns gegenseitig die Haare schneiden - wir brauchen Industrie." Damit diese funktioniere, bedürfe es starker Arbeitnehmerrechte, Kündigungsschutz, gerechter Löhne sowie Mindestlöhne, und der betrieblichen Mitbestimmung.

Wer aber, wie die Union, Steuersenkungen verspreche, betreibe "Veräppelei". Stattdessen müsse man Steuerhinterziehung bekämpfen, eine Börsenumsatzsteuer einführen sowie den Spitzensteuersatz anheben. "Die starken Schultern müssen mehr tragen als die schwachen."

© SZ vom 25.05.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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