Waldkindergärten:Ein Bauwagen als Spielzimmer

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Die Zahl der Waldkindergärten im Landkreis Starnberg nimmt zu, denn die Waldpädagogik begeistert viele Eltern. In Andechs und Hochstadt starten im Herbst zwei neue Gruppen. In manche zieht sogar der Luxus ein

Von Ute Pröttel, Seefeld/Starnberg

Der Bauwagen ist der Stolz aller Buben und Mädchen, die einen Waldkindergarten besuchen. Verständlich, meist sind das nostalgische Gefährte, die bunt angemalt sind. Sie dienen den Waldkindern, die den Großteil ihrer Kindergartenzeit im Freien verbringen, als Rückzugsraum. Im Bauwagen wird gegessen, gelesen, aufgewärmt. Die Kinder der "Räuberhöhle" in Seefeld haben nun einen neuen Bauwagen bekommen. Ein richtiges Luxusgefährt. Extra angefertigt für ihre Bedürfnisse. Mit einer kleinen, überdachten Veranda zum Basteln oder Schnitzen, einer Infrarotheizung, einem kleinen Waschbecken und einer richtigen Garderobe. Im Inneren ist so viel Platz, dass alle 18 Kinder gemeinsam essen können und eine Kuschelecke soll auch noch hinein.

Drei mal zehn Meter ist der Wagen groß. Gebaut auf einem Unterbau für Zirkuswagen. Das helle Lärchenholz riecht herrlich und die vielen roten Fenster lassen ausreichend Licht ins Innere. "Nun haben wir endlich auch genug Platz für unseren Vorschulunterricht", schwärmt Silke Rudat. Sie leitet den Seefelder Waldkindergarten seit bald zehn Jahren.

Sie ist eine Waldpädagogin der ersten Stunde. Ausgebildet zur staatlichen Erzieherin, interessiert sie sich als Mutter von drei Söhnen früh für das in Deutschland neue Konzept: Die pädagogische Arbeit wird in den Wald verlegt, der Spielmaterial in Hülle und Fülle bietet. Der Wald schult Balance und Trittsicherheit, fordert Ausdauer und Motorik. Es gibt genug Raum, um laut zu sein, aber wer leise ist, wird vielleicht mit dem Blick auf ein Reh oder ein Eichhörnchen belohnt. Mal kommt ein Musikpädagoge vorbei, mal der Förster.

Sieht eher aus wie ein Haus: der neue Bauwagen des Waldkindergartens. Hier mit den Betreuerinnen Petra Schulz (v.li.), Silke Rudat und Birgit Walk. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Als der jüngste Sohn drei Jahre alt ist, nutzt Silke Rudat die Chance im damals neu gegründeten Waldkindergarten in Dießen anzufangen. Das war im Jahr 2001. Zeitgleich wurde auch der Waldkindergarten in Starnberg gegründet. Die Seefelder Kindergartengruppe besteht seit 2002. Die älteste Waldkindergartengruppe des Fünfseenlandes befindet sich in der Starzenbachschlucht in Feldafing.

Was 1999 mit sieben Kindern und zwei Erzieherinnen in einem Wald nördlich von Feldafing begann, hat heute in vielen Gemeinden Nachahmer gefunden. Dabei sind viele Waldkindergartengruppen aus der Not heraus geboren, da es im örtlichen Kindergarten schlicht zu wenig Platz für alle Dreijährigen gab. Während Rathausbeamte verzweifelten Müttern nur schulterzuckend mitteilten, dass es für den Nachwuchs leider keinen Platz gäbe, blieb vielen oft gar keine andere Wahl, als selbst die Initiative zu ergreifen. Sehr zum Schrecken der Beamten im Rathaus, die mussten die Bauwagen-Kindergärten nämlich finanziell unterstützen, sobald dank eines geeigneten Schutzraums gewährleistet war, dass die Kinderbetreuung auch bei Sturm und erheblichen Minusgraden stattfinden konnte.

Mit dem Inkrafttreten des "Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes" 2005 wurde die Situation für viele Waldkindergartengruppen einfacher. Die Waldpädagogik wurde auch gesetzlich anerkannt, viele Elterninitiativen erhielten eine offizielle Betriebserlaubnis, mussten aber im Gegenzug ihre Öffnungszeiten regeln und nachweisen, dass sie die gesetzlich geforderte Vorschularbeit leisteten. Heute gehört eine Waldkindergartengruppe beinahe in jeder Gemeinde zum vielfältigen Betreuungsangebot.

Doch noch immer sind Neugründungen auf akute Engpässe zurückzuführen wie aktuell in der Gemeinde Andechs. Auch in Hochstadt wird es im Herbst eine neue Gruppe geben, deren Trägerschaft sogar die Gemeinde übernimmt. Denn Waldpädagogik begeistert. Die Fluktuation bei den Erziehern ist wesentlich geringer als in konventionellen Kindergärten, viele Eltern schätzen den konfessionslosen Ansatz. Allerdings: Der Ausländeranteil unter den Kindern geht gegen Null. Was sicherlich auch an den Kosten liegt: Die Gebühren betragen zwischen 120 und 185 Euro im Monat. Dazu kommen Spielgeld und Ausflugsgeld. Doch die Gruppen erfreuen sich dennoch regen Zulaufs. In Feldafing musste seinerzeit schnell Platz für eine zweite Waldkindergartengruppe gefunden werden.

Dabei verlangt das Konzept Kinder wie Eltern einiges ab. Eltern, die ihre Kinder in einem Kindergarten ohne Dach und Wand anmelden, müssen auch selber einiges dazutun, damit das Freiluft-Konzept funktioniert. In der Regel verwalten sie den Kindergarten eigenständig, müssen Putz- oder Handwerksdienste leisten und Anschaffungen selber stemmen. Da ist Kreativität gefragt.

Die Seefelder verkaufen vor Weihnachten und Ostern Selbstgebasteltes auf dem Wochenmarkt. Der Feldafinger Waldkindergarten veranstaltete zu seinem Sommerfest dieses Jahr erstmals eine Auktion um Geld für neue Anschaffungen zu sammeln. Sabine Nimbach, zweifache Mutter und neu im Vorstand des Kinderwerkstatt e.V. Feldafing, hat in den vergangenen Wochen Geschäfte und Firmen in der Umgebung angesprochen und Preise sowie Gutscheine gesammelt, die zu zehn Auktionslosen zusammengestellt wurden. Darunter befinden sich ein Abendessen im Stüberl des Hotel Kaiserin Elisabeth oder eine Innenraumreinigung für das Auto. "Die ist bei Waldkindergarten-Eltern besonders begehrt", sagt sich die Organisatorin. Finanziert werden soll mit dem eingesammelten Geld das Material für eine Solaranlage auf dem Dach des Bauwagens an der Starzenbachschlucht. Die Installation der Anlage erbringen die Väter in Eigenleistung.

Den neuen Bauwagen in Seefeld hat die Gemeinde finanziert. Er kostet soviel, wie der Putzdienst pro Jahr in den anderen Kindergärten. Den leisten im Waldkindergarten allerdings die Eltern. Und ohne die Mithilfe des örtlichen Bauhofes wäre das riesige Gefährt auch nie an seinem Platz am Waldrand angekommen. Den die Gemeinde übrigens bereits vor einiger Zeit vom Waldbesitzer gepachtet hat, um den Verbleib des Kindergartens auf künftig zu sichern.

Innen drin ähnelt er durchaus einem normalen Kindergartenraum. Wie der schicke neue Bauwagen in Seefeld ist das Konzept der Waldkindergärten im Kinderbetreuungsangebot angekommen. Die ganz wilden Jahre sind vorbei.

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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