Tutzinger Brahmstage:Genie und Wahnsinn

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Frauenpower auf der Bühne: Anne Katharina Schreiber, Jutta Ernst (verdeckt), Elke Heidenreich und Kristin von der Goltz (v.li.) vor dem Konzert. (Foto: Nila Thiel)

Das 21. Festival endet mit einem Gesprächskonzert und Elke Heidenreichs schonungsloser Beschreibung von Robert Schumann und dessen Ehefrau Clara

Von Reinhard Palmer

Die 21. Tutzinger Brahmstage sind beendet. Mit dem letzten Konzert unter dem ersten Vorsitz des veranstaltenden Freundeskreises von Gisela Aigner, die sich aus diesem Anlass etwas wünschen durfte, wie der 2. Vorsitzende Thomas H. Zagel in der Evangelischen Akademie kundtat. Und sie wünschte sich Frauenpower, auf der Bühne wie im Programm.

Brahms war zwar einmal verlobt, aber die Frau in seinem Leben war Clara Schumann, die starke, kluge und hochbegabte Ehefrau des Komponisten Robert Schumann, den Brahms so verehrte. Eine einzigartige Konstellation mit drei psychisch gestörten Menschen, in deren Leben viel schief gelaufen war. Ja, Elke Heidenreich war in ihren Texten unbarmherzig. Die literarische Allrounderin nannte die Dinge beim Namen: Gedrängt zum Jurastudium fand Robert Schumann Trost im Alkohol, Zigarrenrauch und Sex. Mit Syphilis angesteckt, war sein Schicksal besiegelt. Seine Schwester beging Selbstmord. Clara Wieck - von der Mutter verlassen, vom Vater zum Wunderkind gedrillt - war seelisch nicht minder zerrüttet. Und Kind ihrer Zeit, zumindest in der Selbstkritik, ihre Kompositionen seien ja nur "Arbeiten eines Frauenzimmers". "Eine Komponistin wird es niemals geben, nur etwa eine verdruckte Kopistin", zitierte Heidenreich den Dirigenten Hans von Bülow, verschonte aber Brahms, der meinte: "Es wird erst dann eine große Komponistin geben, wenn der erste Mann ein Kind zur Welt gebracht hat".

Das Trio Vivente mit Jutta Ernst (Klavier), Anne Katharina Schreiber (Violine) und Kristin von der Goltz (Violoncello) bewies sogleich, wie falsch Brahms und Bülow doch lagen. Das Trio g-Moll op. 17 von Clara Schumann, das sie zwischen Schwangerschaften, finanziellen Nöten und Konzertreisen nebenbei erschuf, ist jedenfalls kein Werk einer Dilettantin. Obgleich sie nicht viel Übung im Komponieren hatte, offenbarte der Vortrag des Trios Vivente eine ausgeprägte Handschrift. Im fließenden Auf und Ab des Kopfsatzes zeigte Clara Schumann Mut, mit einem ruppig rhythmisierten Motiv zu kontrastieren. Das ausgelassen-heitere Scherzo schloss ein Trio von melancholischem Ernst ein. Das Andante blieb jeglicher Gefälligkeit fern und legte bald einen Gang zu. Und welche Kraft steckte im Schluss-Allegretto! Vorwärtsdrängend mit zunehmend dichter Textur.

Robert Schumann war im Programm nicht vertreten, nur durch seine Vision des Eismeeres. Komponist Marc-Aurel Floros, Heidenreichs Lebensgefährte, schuf zu dieser Vision für das Trio Vivente 2016 eine musikalische Berg- und Talfahrt durch surreale Welten eines vom Wahn ergriffenen Menschen. Das Trio Vivente machte die Interpretation zum Psychogramm eines fiebrig delirierenden, geistig abgedrifteten Mannes zwischen hysterischer Energieentladung, Verwirrtheit und flirrender Ätherik, aber auch schmissigem Tanztaumel.

Brahms sei "jung, hübsch, fröhlich" gewesen, als er die Schumanns erstmals besuchte und vier Wochen blieb, erzählte Heidenreich. Er habe den Schumann-Kindern was vorgeturnt und half auch im Haushalt, nachdem Robert in den Rhein gesprungen war und sich in die Anstalt einweisen ließ. Doch Brahms umgab eine "sonderbare Aura des Einzelgängers", konstatierte Heidenreich. Mit seinem Trio C-Dur op. 87 zeigte das Trio Vivente, wohin das führte. Es erklang als ein plastisch reich durchgeformtes Werk mit weit zurückgenommener Empfindsamkeit, aber andererseits auch von geradezu gewaltsamer Dramatik. Den drei Musikerinnen gelang das Kunststück, die durchfurchte Textur einer großen Idee unter einen weit gedehnten Spannungsbogen zu ziehen. Das Andante brauchte eine Weile, bis es in Fluss geriet und auf ein wehmütiges Finale zusteuerte. Das Scherzo war weniger lustig als das Finale Allegro giocoso, doch die schwärmerische Melodik im Trio überzeugte mit Leidenschaft. Die Romanze aus den Phantasiestücken von Robert Schumann als Zugabe rundete die Thematik ab und belohnte den lang anhaltenden, frenetischen Applaus.

© SZ vom 30.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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