SZ-Serie: "Meisterhaft", Folge 15:Das Wunder der Wölbung

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Wenn der Geigenbaumeister Jörg Trautmann ein neues Instrument baut, nimmt er dafür Holz, das im Winter geschlagen wurde. Jede Kante, jede Rundung und der Lack beeinflussen den Klang oft entscheidend. Span für Span arbeitet er sich zum richtigen Ton vor

Von Daniela Gorgs

Der Himmel hängt voller Geigen. Die Streichinstrumente baumeln unter der Decke an Drahtseilen, die Jörg Trautmann in zwei Reihen zwischen die Wände gespannt hat. Der Blick der Besucher wandert zuerst nach oben. Wenn die Sonne durch das Südfenster auf die Geigen und Bratschen scheint, glänzt der hellbraune Lack wie Gold. Mancher Besucher schaut zweifelnd auf die abenteuerlich wirkende Konstruktion. Jörg Trautmann schmunzelt dann und beruhigt, dass die Haken fest in den Dübeln sitzen. "Wenn man schon einen Altbau mit hohen Decken hat, muss man ihn auch nutzen."

Jörg Trautmann, 54, ist Geigenbaumeister. Seine Werkstatt liegt an der Volkartstraße in Neuhausen im Erdgeschoss eines der prächtigen Häuser, die um die Jahrhundertwende herum gebaut wurden. Für Trautmann ist der Ort mehr als eine Werkstatt: Es ist sein Atelier. Damit beschreibt der Geigenbauer die Vielfalt seines Handwerkerberufs, der die Präzision eines Schreiners verlangt, das filigrane Geschick eines Goldschmieds, das räumliche Vorstellungsvermögen eines Architekten und, natürlich, musikalisches Verständnis voraussetzt. Trautmann war 1978 einer von zwölf Schülern der staatlichen Schule für Geigenbau in Mittenwald. Beworben hatten sich knapp 1500 Interessenten. Trautmann brachte großes musikalisches Talent mit. Der Sohn eines Holzbildhauers in Schongau lernte schon als Bub Fiedel, Gambe, Trompete und diverse Flöten zu spielen. Und Geige. Das muss er auch, um zu verstehen, worüber Musiker sprechen, wenn sie wegen einer Instrumentenreparatur zu ihm in die Werkstatt kommen.

Auf den Kommoden liegen Decken, damit die Geigen, die dort zur Ansicht abgelegt werden, nicht verkratzen. In den Regalen stehen Fachbücher, Darstellungen der Arbeit der italienischen Meister, Kataloge von Auktionshäusern und Kunstmuseen. Trautmann arbeitet nach alten Meistervorlagen. Die klangliche Qualität einer Stradivari-Geige findet er heute noch legendär. Auch den Instrumenten von Guarneri del Gesù, einem Zeitgenossen Stradivaris, zollt er Hochachtung. "Ein Schlamper", was die Genauigkeit betreffe, doch mit einem eigenem Charakter. Guarneris Geigen wirkten von der Form her asymmetrisch, aber der Klang sei genial. An der Wand neben den Celli-Kästen hängt ein Bild von Guarneri del Gesù.

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(Foto: Florian Peljak)

Jörg Trautmann baut aus...

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(Foto: Florian Peljak)

...Boden, Deckel und Steg eine Geige zusammen.

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(Foto: Florian Peljak)

Präzise schnitzen muss er die Schnecke...

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(Foto: Florian Peljak)

...und die Stege an den jeweiligen Deckel anpassen.

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(Foto: Florian Peljak)

Nur dann klingen die Geigen gut, die neben den Bögen von der Decke baumeln.

Das Geigenbauatelier an der Volkartstraße ist ein aufgeräumter Ort. Der Meister trägt eine grüne Schürze und ein gebügeltes Hemd unter dem feinmaschigen Wollpullover. Ein Musiker klingelt an der Tür. Er braucht eine Schulterstütze für seine Bratsche. Der Kunde hat einen dunkelroten Geigenkasten mitgebracht, ein Geschenk aus England. "Very british", sagt Trautmann, als er den Kasten öffnet und eine rot lackierte Geige herausholt. Dem Meister genügt ein Blick: "Das ist eine Dreiviertelgeige nach Manufakturart", sagt er. Um das Stück auf Vordermann zu bringen, müsste man etwa 200 Euro investieren. Doch das Instrument wäre der zehnjährigen Tochter des Kunden bald zu klein. Der Geigenbauer rät von einer Reparatur ab.

Zu Trautmann kommen ambitionierte Laien und professionelle Musiker. Mit viel Freude stattet er Nachwuchsschüler aus. Wenn er dazu beitragen kann, dass die Musik einen festen Platz im Leben eines Menschen findet, so wie es bei ihm seit der Kindheit ist, hat Trautmann sein Ziel erreicht. Beim jährlichen Nachwuchs-Aktionstag "Der Gasteig brummt" stellt er so manche Weiche. An dem Stand des Geigenbauers bildet sich die längste Schlange. Die meisten Kinder wollen einmal ein Streichinstrument in der Hand halten.

Die Geige - ein Faszinosum, sagt Trautmann. Vier Stahlsaiten, über einen Steg gespannt, der ihre Schwingungen an einen Klangkörper weiterleitet. Der Korpus besteht aus Decke, Boden und Zargenkranz. Viel einfacher als eine Geige kann man ein Instrument kaum bauen. Doch wer beobachtet, wie der Meister eine Geigenhälfte auf seiner Werkbank zwischen Holznägel legt, damit sie nicht wegrutscht, und mit einem Hobel, klein wie ein Bleistiftspitzer, Span für Span abhebt, bis sich eine Wölbung ergibt, der sieht: Geigenbau ist feine Detailarbeit. Und das Abstechen der Wölbung erfordert höchste Kunstfertigkeit. Einmal daneben geschnitzt, und er kann das Werkstück wegwerfen.

Trautmann weiß, wie sich kleinste Veränderungen auf den Klang auswirken können. Ob eine Geige eine starke Kraft entwickelt oder zaghaft klingt, hängt von der Art der Wölbung am Korpus ab. Schon Zehntelmillimeter entscheiden darüber, ob ein Instrument die erste Geige im Sinfonieorchester sein darf oder eher nach singender Säge klingt. Zwei Tischlampen klemmen an der Hobelbank, die direkt unter dem Fenster steht. Gleichmäßiges Licht von allen Seiten ist wichtig beim Geigenbau. Jede Kante, jede Rundung, auch die Besaitung spielt eine Rolle. Der Lack, und natürlich das Holz. Einige Geigenbauer laufen selbst durch die Wälder und suchen die Bäume aus, mit Vorliebe in Südtirol. Trautmann vertraut einem Tonholzhändler und kauft nur Blöcke, die im Dezember oder Januar geschlagen wurden. Dann, wenn der Baum am wenigsten Saft führt. Mindestens fünf Jahre alt muss das geschlagene Holz sein. Trautmann lagert Blöcke, die 20 Jahre alt sind. 200 Stunden braucht er für eine Geige, die er für 12 000 Euro verkauft. Nicht auf Bestellung, sondern dann, wenn es ihm das Alltagsgeschäft erlaubt.

Trautmann verdient sein Geld vor allem mit der Pflege und Restauration von Streichinstrumenten, der Klangeinstellung sowie dem Instrumentenverleih. Wer sich für eine Geige interessiert, wird zunächst von ihm beobachtet. Der Meister versucht, sich ein Bild von der Person zu machen. Was ist sie für ein Typ? Welcher Klang passt zu ihr? Ist ihr eine ausgeglichene Geige mit einer feinen, zarten Stimme angenehm? Oder braucht sie einen voluminösen, kräftigen Ton mit großer Tragweite? Dann schaut er in seinen Geigenhimmel und holt die passende herab.

© SZ vom 20.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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