St. Ottilien:Gelungener Start

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Betörend: die erst 16-jährige Geigerin Sophie Wang bei ihrem Auftritt mit der Russischen Kammerphilharmonie. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Eröffnungskonzert der Ammerseerenade mit Winzergesang und der Russischen Kammerphilharmonie

Von Reinhard Palmer, St. Ottilien

Mit der Ammerseerenade ist es wie mit den Olympischen Spielen: Es gehen schon die ersten Veranstaltungen über die Bühne, noch bevor es die offizielle Eröffnung gab. Nun fand sie in der Herz-Jesu-Kirche von St. Ottilien statt - und auch nicht ohne Spektakel, zumindest einem klitzekleinen: Die Cardellinis del Fontanino, ein aus toskanischen Winzern bestehendes Vokalensemble, gaben sich in Tracht die Ehre, das Eröffnungskonzert a cappella mit der Kunst des einzigartigen, mit Jodelelementen angereicherten Volksgesangs ihres Heimatdorfes Castel del Piano zu beginnen. Eine großartige Einlage, die in ihrer gesanglichen Qualität für viele bayerische Volksmusikanten beschämend sein dürfte, wenn sie auch in Anbetracht des anstehenden Konzertprogramms doch etwas irritierend wirkte.

Die Begrüßungsreden waren denn auch nötig, um für die Russische Kammerphilharmonie St. Petersburg empfänglich zu sein. Mit ihrem Chefdirigenten Juri Gilbo verfügt das seit 1990 existierende Kammerorchester über einen Dirigenten, der als Bratscher und Mitglied des Gershwin Quartetts auf reichhaltige kammermusikalische Erfahrung zurückgreifen kann. Das bleibt in seinem Dirigat nicht ohne Folgen. Seine Stärke ist die Präzision, die aber nicht steril wirkt, sondern vielmehr auf feinste Abstimmung des Klangbildes bis ins Detail zielt und hinter den großen spielfreudigen Wirkungen auch immer wieder kleine Leckerbissen aufdeckt.

Und das ist für die Instrumentalisten im Orchester eine große Herausforderung, denn zugleich bevorzugt Gilbo straffe Tempi. Schon in der beliebten Konzerteröffnung mit Händels "Ankunft der Königin von Saba" aus dem Oratorium "Salomon" verzichtete der Dirigent auf die majestätische Breite und wandte sich gleich mit Verve der Strahlkraft des Klangbildes zu, was allerdings in der Überakustik des Kirchenraums etwas übersteuert erklang.

Doch mit solchen Klangfluten sollte es nicht weiter gehen. Die f-Moll-Symphonie (Nr. 49 "La Passione") von Haydn fand später eine deutlich schlankere Formung ihrer Klangsubstanz. Schlank war auch der Mitteleinsatz, in dem die Reduktion aufs Charakteristische eine klare Linie ausprägte. Langsame Passagen und Sätze wurden in aller Ruhe ausgespielt, als hätte sich Gilbo von der Vergeistigung und Feinfühligkeit der erst 16-jährigen Taiwanesin Sophie Wang anstecken lassen. Ihr Violingesang erklang zuvor betörend und erhob sich mit weitem Atem leichtfüßig über das gewandt begleitende Orchester. Eigentlich hatte Tschaikowski sein "Souvenir d'un lieu cher" op. 42 mit Klavierbegleitung komponiert. Die Fassung für Streichorchester erfordert daher viel Fingerspitzengefühl und Leichtigkeit der Klangsubstanz. In der eröffnenden "Méditation" und danach im nostalgischen Lied ohne Worte "Mélodie" verzauberte Wang mit geistvoll-innigem Vortrag. Aber im feurigen Scherzo bewies sie, dass sie auch temperamentvoll zupacken kann, ohne ihrem jugendlichen Übermut gleich freien Lauf zu lassen. Im als wirkungsvollen Schlusssatz drangehängten Valse-Scherzo op. 34 rasten schließlich Wang und Gilbo gemeinsam zum virtuosen Finale.

Auch Raphaela Gromes fand im Orchester einen kommunikationsfreudigen Klangkörper. In Schumanns Cellokonzert a-Moll op. 129 boten sich mit Gilbo, dem Konzertmeister und der Solocellistin gleich drei Dialogpartner an. Und Gromes arbeitete mit ihnen trotz ihrer jungen Jahre schon erstaunlich gewandt zusammen. Von Anfang an zeigte sie auch, dass sie ihre überbordende Euphorie gut im Griff hat und sie wirkungsvoll in innere Energie verwandeln kann. Das erforderte geradezu die reduzierte Fassung des Werkes, die wieder von kammermusikalischen Qualitäten der Interpreten profitierte. Gromes' Celloton erklang groß, gewichtig, doch ohne Schwere. Ihre weiten Linien waren auch komplexer, weil erzählerisch differenziert. Auf diese Weise verschmolzen die ohne Pause durchgespielten Sätze nahtlos ineinander und schufen eine schlüssige Einheit.

Vom melodischen Gesang über aufgewühltes Wogen und warme Lyrik bis hin zur geradezu mystischen Zäsur im energischen Finale entwickelte sich alles mühelos und mit vollkommener Selbstverständlichkeit. Das Publikum reagierte mit Ovationen.

© SZ vom 31.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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