Seefeld:Große Reise

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Ausgeklügelte Dramaturgie: das "Eva Klesse Quartett" in Seefeld. (Foto: Georgine Treybal)

Newcomer auf Erfolgskurs: Das Eva Klesse Quartett in Seefeld

Von Reinhard Palmer, Seefeld

Frauen sind in der Jazzmusik längst keine Seltenheit mehr. Bei Kultur im Schloss Seefeld bestand die Rarität vielmehr darin, dass Eva Klesse, die ihr Quartett mitbrachte, die Schlagzeugerin der Band ist. Und das wirkte sich deutlich auf die Charakteristik der Musik aus, denn ihr Spiel war nicht nur Antrieb und Puls, sondern vor allem Klang, Dynamik und Variationsvielfalt. Was wohl auch der Grund dafür war, dass Klesse am liebsten Besen zur Hand nahm, mit denen ein breiteres Spektrum an Schlagabstufungen und Geräuschen möglich ist. Und diese feinsinnige Modellierung kam vor allem deshalb so klar zur Geltung, weil sich auch ihre drei Mitspieler ganz auf den kammermusikalischen Zugriff einließen.

Evgeny Ring am Saxophon, Philip Frischkorn am Klavier und Robert Lucaciu am Kontrabass standen Klesse im Einfühlungsvermögen kaum nach, zumal die Kompositionen der vier Musiker in der Thematik zum Minimalismus tendierten und raffinierte rhythmische Brechungen und Überlagerungen fokussierten. Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass sich das Eva Klesse Quartett unentwegt zurückhielt. Ganz im Gegenteil: Die vier Musiker drehten immer wieder mal mächtig bis zur Ekstase auf, überfluteten den Raum förmlich mit Klang und brachen bisweilen in gesittet-wilde Raserei aus. Gerade weil sonst der schlanke Zugriff vorherrschte, gewannen diese Verdichtungen und Intensivierungen entsprechend an Wirkung. Klesse griff dann schon zu Drumsticks, um scharf einzudreschen, manchmal aber auch mit Paukenschlägeln einen dumpfen Trommeldonner zu entfachen.

Dies alles war stets einer ausgeklügelten Dramaturgie geschuldet, die darauf abzielte, keine Gleichförmigkeit aufkommen zu lassen, eine möglichst ausgeprägte Klangsinnlichkeit zu entwickeln und sie auch entsprechend zu inszenieren. Und das hieß, die Klangmöglichkeiten der Instrumente erfinderisch zu nutzen und sie auch in vielerlei Kombinationen zueinander in Beziehung zu setzen. Insbesondere Lucaciu am Kontrabass variierte die Ausprägungen der gezupften wie gestrichenen Spielweisen, immer wieder auch mit schrägen Flageoletts angereichert. Fischkorn erwies sich am Klavier als ein Meister der übergreifenden Phrasierung mit rhythmischen Überlagerungen, während Ring am Saxophon die Variationsfülle in der plastischen Modellierung suchte, nicht ohne immer wieder auch einen weitschweifenden Saxophongesang anzustimmen. Eine glückliche Kombination, die fesselnde Konstellationen ermöglichte.

Die einzelnen Stücke des Eva Klesse Quartetts wollen offenbar nicht klar eingeordnet werden. Meistens setzten sie als Balladen an, wechselten aber im weiteren Verlauf in Rhythmus und Tempo. Letztendlich war hier jede Nummer eine Art Rhapsodie, die mit dem jeweiligen Thema viele Szenarien und Stimmungen durchlief. Deutlich ausgeprägt vor allem in "Orphelia" von der ersten CD "Xenon". Reine Balladen wie beispielsweise "Leise wie er" oder auch "Ein verlorener Romantiker" modellieren den fesselnden dramaturgischen Verlauf in klanglichen Variationen.

Anlass der Tour war die zweite CD der Band mit dem Titel "Obenland", die nach dem Echo Jazz als Newcomer des Jahres 2015 nun eine Fortsetzung des Erfolgs verspricht. Und wieder dominieren stark emotional geprägte Nummern wie etwa "Descend and Resurface" mit einem pianistischen Schwenk zur Klassik. Seelentiefe Atmosphäre breitete ausgeprägt "Erdweben" aus, mit einer sinnlichen Intensivierung im Höhepunkt, die schon mächtig berauschte. "Kleine None, große Reise" gehört zu den Titeln, die auch schon mal die Dramaturgie verkehren. Ein spannungsgeladenes Intro beruhigte sich bald, um mit so geschärften Sinnen zu ungewohnten Kontrastwirkungen überzugehen. Es ist jedenfalls viel geboten in der Musik des Eva Klesse Quartetts, was das Publikum denn auch euphorisierte. Zwei ausgedehnte Zugaben.

© SZ vom 17.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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