Seefeld:Emotionen und Eruptionen

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Köstliche Wirkungen: Geiger Korbinian Altenberg und seine Klavierpartnerin Jiayi Shi. (Foto: Arlet Ulfers)

Abschlusskonzert der Beethoven-Trilogie für Klavier- und Violinsonaten im Sudhaus

Von Reinhard Palmer, Seefeld

Wie bedauerlich, dass Beethoven in seinem Spätwerk keine Violinsonaten mehr komponierte. Zwar leitete seine Erzherzogssonate G-Dur op. 96 (1812), die zehnte und letzte der innerhalb von 15 Jahren geschriebenen Werke der Gattung, seine Spätphase ein, doch dann zog Beethoven andere Gattungen vor. Diese Sonate musste jedenfalls am Ende der Trilogie stehen, die der Geiger Korbinian Altenberg und seine Klavierpartnerin Jiayi Shi im Sudhaus des Seefelder Schlosses allen zehn Violinsonaten Beethovens innerhalb von wenigen Wochen widmeten. Zwar hielt das Duo die Chronologie nicht ein. Doch verfolgt man die Entwicklungslinien in Beethovens Violinsonaten, so muss man im op. 96 den Kulminationspunkt sehen.

Das kam hier insbesondere deshalb so deutlich zur Geltung, weil der Zugriff des Duos darauf abzielte, die Ausprägungen der Werke extrem auszuformen. Das führte in der frühen, mozartisch dreisätzigen Sonate A-Dur op. 12/2 zu einem extrem breiten Spektrum des Ausdrucks: Die spritzige Leichtigkeit im Kopfsatz verdichtete sich unversehens zu geballter Dramatik. Man könnte die pfiffige Heiterkeit vom Beginn mit dem Scherzo der Frühlingssonate F-Dur op. 24 vergleichen, das aber mit seinem wirbelnden zweiten Teil aphoristisch kurz ausfiel und dadurch mehr Überleitung war als eigene musikalische Aussage.

Für Shi und Altenberger dennoch kein Grund zur Vernachlässigung. Im Gegenteil: Das Duo nutzte auch vermeintliche Nebensächlichkeiten, um köstliche Wirkungen herauszuarbeiten und spieltechnisch zu brillieren. In dieser Präzision wurden Unterschiede deutlich: So geriet die Spritzigkeit im Scherzo der Erzherzogssonate nicht gerade leicht, büßte mit ihrer sperrigen Pointierung auch weitgehend ihre Heiterkeit ein. Doch umso geschmeidiger kontrastierte die Melodik im zweiten Teil.

Kombinierte die frühe Sonate die Moll-Melancholie noch mit vergnüglich fließendem Impetus, so folgte die Melodik der Frühlingssonate einer konzentrierten Dramaturgie mit dramatischen Zäsuren. In der Erzherzogssonate indes deckte das Duo vergeistigtes Sinnieren auf: leise, plastisch geformt und fließend. Hier kehrte Beethoven zur Attacca-Verbindung zum nachfolgenden Satz der frühen A-Dur-Sonate zurück, während das "Adagio molto espressivo" der Frühlingssonate bis zum zart gespielten Finale für sich allein lebte.

Noch deutlicher arbeiteten Shi und Altenberger die Schlusssätze heraus. Wie Mozart und Haydn kreierte Beethoven für sein op. 12/2 den tänzerischen Kehraus geradezu im Scherzo-Charakter, den die Instrumentalisten mit wuchtig pointierten Schlusspassagen versahen. In der Frühlingssonate ist das Schlussrondo reicher differenziert, melodiös und beschwingt, vor allem in tänzerischen Passagen, die aber schnell in zurückgenommenen Gesang umschlagen oder sich dramatisch zuspitzen konnten. Auch wenn der Zugriff auf die späteste G-Dur-Sonate insgesamt behutsamer ausfiel, zog das Duo hier doch recht kontraststarke Register. Obwohl das Thema aus einem anspruchslosen Singspiel harmlos wirkt, vermochte Beethoven - man denke an die Diabelli-Variationen - dem Stoff viel abgewinnen: Im Grunde interessierte Beethoven wohl weniger die Melodie als das harmonische Gerüst.

Folgten die beiden vorhergehenden Sonaten-Finales noch einheitlicher Dramaturgie mit effektvoll inszeniertem Schlusspunkt, so wählte Beethoven den Variationssatz, um wohl noch einmal alle Gedanken der vorangegangenen Sätze Revue passieren zu lassen. Shi und Altenberger nutzten diese Charaktervarianten, um mit brillanter Gewandtheit eine wahre Berg- und Talfahrt der Emotionen zu entfachen und verwandelten abrupte Wendungen in Eruptionen. Nach einer empfindsamen Rücknahme fiel dann auch die finale Stretta als Schlusspunkt aus.

© SZ vom 05.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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