Seefeld:Die Anzeige als Teil der Therapie

Lesezeit: 2 min

Mehr als 16 Jahre nach den Taten wird ein Seefelder wegen sexuellen Missbrauchs und Nötigung eines Mädchens verurteilt

Von armin greune, Seefeld

Wie sehr eine sexuelle Nötigung in der Kindheit das weitere Leben als Frau belastet, ist am Dienstag vor dem Starnberger Schöffengericht klar geworden. Vor mehr als 16 Jahren hatte sich ein Freund der Familie mehrmals an einem damals 12- bis 13-jährigen Mädchen vergriffen. 2013 erst brachte das Opfer die Vorfälle zur Anzeige, zwei Jahre lange ermittelten die Behörden. Nun überraschte der 56-jährige Seefelder das Gericht zu Beginn der Verhandlung mit einem Geständnis - was dazu beitrug, dass er mit einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten davon kam. Als Auflage muss er 3000 Euro Schmerzensgeld in 30 Monatsraten bezahlen, das Urteil ist bereits rechtskräftig.

Der Angeklagte ließ durch seine Anwältin erklären, dass er die Vorwürfe "voll umfänglich einräumt" und die Übergriffe bedauere. Weitere Auskünfte zu seinem Verhalten gab der Seefelder nicht. Das heute 29-jährige Opfer hatte erkannt, dass der Täter nicht aus pädophiler Veranlagung handelte: "Er hat einfach einen Schlag weg und nicht kapiert, dass ich noch ein Kind war", sagte die Frau vor einem Jahr in einer Vernehmung, die im Gericht als Videoaufzeichnung zu sehen war. Seitdem sich bei ihr ein Busen abzeichnete, habe der wegen seiner Kraft und Hilfsbereitschaft von den Eltern geschätzte "Hausfreund" sie mit sexuellen Anzüglichkeiten traktiert und immer wieder an Brust und im Schritt "wie zufällig gestreift". Noch massiver wurden die Attacken, als der Seefelder sich von seiner Frau getrennt hatte und gelegentlich auf dem Sofa der Familie des Opfers übernachtete. Genau drei Mal legte er sich frühmorgens bekleidet in das Bett des Mädchens, berührte es an der Brust und im Intimbereich und zwang es, sein Glied anzufassen.

Das Kind fand diese Annäherungen "total eklig" und versuchte auszuweichen. "Ich hab' immer wieder gesagt, er soll mich in Ruhe lassen", sagte die Frau aus, ihr beherrschendes Gefühl sei große Angst gewesen: "Ich war wie versteinert." Damals habe sie sich niemandem anvertrauen können, das Verhältnis zu Mutter und großer Schwester sei mit Problemen belastet gewesen, der Vater als Hauptbezugsperson war viel auf Reisen. Das Mädchen fürchtete, dass man nicht ihr, sondern dem "tollen Hausfreund" Glauben schenken würde, zudem war dessen Sohn "wie ein kleiner Bruder für mich", sagte die 29-Jährige. Als der Angeklagte einmal fast in ihrem Bett erwischt wurde, fanden diese Heimsuchungen ein Ende. Doch "die blöden Kommentare und die blöde Gafferei haben noch lange nicht aufgehört". Der Seefelder habe sie zwar nicht körperlich verletzt, aber "starke psychische Schäden" hinterlassen. Depressionen und Suizidgedanken belasteten ihre Jugend, mehrmals ritzte sie sich die Handgelenke auf. "Besonders schlimm war für mich, dass er meinen Willen gebrochen hat," sagte die Frau. Ihr Selbstbewusstsein sei zerstört worden: "Ich hab' mich jahrelang nicht mehr auf die Straße getraut." Ihrem ersten Freund gegenüber erwähnte sie schließlich die Übergriffe, um zu erklären, warum sie auf Zärtlichkeiten mit einer sexuellen Blockade reagierte.

Zur Anzeige konnte sich die Frau jedoch erst Jahre später durchringen: In der Therapie wurde ihr klar, dass sie die Übergriffe aufarbeiten muss und nicht weiter verdrängen darf. Der Weg zur Polizei sei "der einzige Weg, mich zu wehren" gewesen, sagte die 29-Jährige. Auf dem Video ihrer Vernehmung wirkte die junge Frau alles andere als rachsüchtig oder aufgewühlt. Doch gerade die nüchterne und gefasste Art der Aussage rührte die Betrachter an: So gewann auch die Vorsitzende Brigitte Braun den Eindruck, dass die sexuellen Übergriffe für das Opfer "sehr nachhaltig von Bedeutung waren". Zum Glück aber scheint die Aufarbeitung der traumatischen Erfahrungen letztlich gelungen zu sein: Heute ist die junge Frau verheiratet und Mutter eines Kleinkindes.

© SZ vom 15.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: