Seefeld:Der Aufmöbler geht

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Helmut Ronstedt brachte neue Wohnkultur nach Deutschland. Nach 40 Jahren verkauft er nun seine Marke Kokon. Die schlechte Nachricht: 80 Mitarbeitern wurde gekündigt. Die gute: Der Laden in Seefeld wird wohl weitergeführt

Von Christine Setzwein, Seefeld

Die Schwabinger Krawalle sind schon ein paar Jahre her. In Münchens angesagtestem Viertel flippt um das Jahr 1970 herum die Flower-Power-Generation aus. Man geht in den Drugstore oder ins Citta 2000, die linke Jugend, Playboys und künftige RAF-Terroristen tanzen im Blow up. Schlaghosen, Blumenkleider, Schlapphüte und Selbstgehäkeltes sind der letzte Schrei. Und Schaffellmäntel.

Mit elf Säcken voller Schaffellmäntel steigt Helmut Ronstedt 1971 in Istanbul in den Zug. Ohne Businessplan legt er damit den Grundstein für ein erfolgreiches Unternehmen, das eine völlig neue Wohnkultur nach Deutschland bringt - räucherstäbchenduftend und exotisch. Ronstedt stopft sein Abteil mit den Säcken voll und bringt die heiß begehrte Ware von der Türkei nach München. Ohne große Formalitäten und ohne nur ein einziges Mal an einer Grenze kontrolliert worden zu sein. In Schwabing werden ihm die Mäntel aus der Hand gerissen. Wenig später eröffnet Ronstedt seinen ersten Laden: das Mashallah an der Schellingstraße. 1987 gründet er das Einrichtungshaus Kokon, eröffnet 1992 den Laden im ehemaligen Pferdestall von Schloss Seefeld, 1998 eine Dependance im Münchner Lenbach-Palais. Zwischendurch bewirbt er sich mit seinem jüngeren Bruder um die Schrannenhalle, hat aber keine Lust mehr, weil der Münchner Stadtrat das Projekt "nur zerredet".

Jetzt, fast 40 Jahre nach der Gründung, verkauft Ronstedt Kokon. Schweren Herzens, "aber mit 73 muss auch mal Schluss sein", sagt er. Die schlechte Nachricht: Etwa 80 Mitarbeitern in Seefeld, im Lenbach-Palais und in der Zentrale in Neuaubing wurde bereits gekündigt. Die gute: Kokon in Seefeld wird voraussichtlich weiter bestehen. "Wir sind uns mit den Nachfolgern prinzipiell einig", sagt Ronstedt. Wer es ist, will er nicht sagen, solange die Verträge nicht unterschrieben sind. Nur so viel: Die neuen Eigentümer wollten den Laden in Seefeld weiterführen, die Marke Kokon kaufen und mit den wichtigsten Herstellern weiter zusammenarbeiten. Aller Voraussicht nach würden auch die Mitarbeiter übernommen. Die Übergabe soll zum 1. Juli stattfinden. Aber natürlich stehe er noch eine Zeitlang beratend zur Seite - wenn gewünscht.

Abschied nehmen muss Helmut Ronstedt von seinem Lebenswerk Kokon. (Foto: Nila Thiel)

Inzwischen leeren sich die Regale in Seefeld. Ausverkaufsstimmung. "Das nimmt uns schon sehr mit", sagt Ronstedt. Schließlich "lebe ich Kokon, das ist das, was ich mag". Die Möbel und Stoffe, die er verkauft, umgeben ihn auch in seinem Haus in Hechendorf. Unikate, Antiquitäten, handwerklich gefertigte Einrichtungsgegenstände und Textilien aus Naturmaterialien, kein Plastik, keine Industrieware, das zeichnet Kokon aus. Ronstedt kauft nur in kleinen Betrieben, "die keine 100 Filialen beliefern können". Er hat mit seinen Möbeln und Stoffen aus dem Orient und dem Fernen Osten in den vergangenen Jahrzehnten ein Stück Stilempfinden geschaffen und beeinflusst.

1963, mit 19 Jahren, reiste er zum ersten Mal nach Istanbul und Anatolien. "Da war ich für den Orient verloren." Immer wieder zog es ihn neben seinem Soziologiestudium in die Türkei. Für Freunde und Verwandte brachte er Tücher, Stickereien und Kelims mit. "Antike Tücher haben wir zerschnippelt und Hippie-Kleider daraus gemacht", erinnert er sich. Bis er feststellte, dass für solche antiken Tücher in London 500 Pfund bezahlt wurden.

Nächste Station war Bali, wo ein guter Freund von ihm, ein Textilfärbemeister, lebte. Von dort bezog Ronstedt "traumhafte Stoffe". 1000 Meter importierte er und stellte sich damit an einen Stand auf der Messe in Mailand. Und wieder hatte er den richtigen Riecher: Sein Stoff ging bis nach New York. 1990 rief Klaus aus Bali an. "Kratz dein ganzes Geld zusammen und komm nach Jakarta", riet er Ronstedt. Antike koloniale Möbel würden dort billigst verkauft. Und Ronstedt kaufte. Aber wohin mit dem Zeug? Die Lösung kam in Form des Marstalls auf Schloss Seefeld. Weil der Platz aber auch dort nicht mehr lange ausreichte, mietete Ronstedt im Jahr 2000 eine ehemalige Dornier-Flugzeughalle in Neuaubing dazu.

Das Geschäft mit exotischen Möbeln und edlen Stoffen soll in Seefeld weitergehen. (Foto: Nila Thiel)

Helmut Ronstedt, gebürtiger Oberschlesier, lebt seit 1964 in Bayern und seit 1998 in Hechendorf. Im Kreistag Starnberg war er von 1986 bis 1992 Fraktionssprecher der Grünen. Er war einer der Initiatoren des 1. Bayerischen Müllkongresses und im Arbeitskreis Müll und Recycling. "Uns ist es zu verdanken", freut er sich, "dass statt 30 Müllverbrennungsanlagen nur eine gebaut wurde." Ökologische Politik interessiert ihn bis heute. Er ist immer noch Mitglied der Grünen, im Energiewendeverein und in der Energiegenossenschaft. Ziemlich ökologisch ist auch sein Hobby: Ronstedt züchtet Hühner und Enten.

Mit seiner zweiten Frau Elke, Personalchefin bei Kokon, muss Ronstedt nun seine Firma abwickeln. Keines der drei Kinder will das Unternehmen übernehmen. Jule ist Schauspielerin, Marlene studiert Kunst in Holland, und Emilio hat gerade Abitur gemacht. Sie hätten es im Möbelgeschäft auch nicht leicht gehabt. Der Markt verändert sich rasant. Die Nische "Kokon" wird immer schmaler. Die Art Einrichtung, die es früher nur bei Kokon gab, gibt es jetzt auch bei Butlers, Segmüller oder XXL Lutz. Nur billiger. Ganz offen gibt Ronstedt zu, dass er in den vergangenen Jahren Verluste eingefahren habe, vor allem 2015 seien sie erheblich gewesen. Waren es früher 180 Container, die mit Kokon-Ware verschifft wurden, waren es zuletzt nur noch 50. Und dann kam auch noch ein zweiter Warnschuss, dieses Mal von ärztlicher Seite. Die Entscheidung fiel: "Ich höre auf."

Das Kokon in Seefeld wird wohl weitergeführt (Foto: Nila Thiel)

Auf Reisen wird der 73-Jährige aber nicht verzichten. Freilich nicht mehr nach Indien, China oder Südostasien. Da war er oft genug. Jetzt geht es erst einmal nach Wales. "Das hab' ich meiner Frau versprochen", sagt er.

© SZ vom 27.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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