Seefeld:Adam, Eva und die anderen Flüchtlinge

Lesezeit: 2 min

Die Journalistin Christine Schulz-Reiss beschreibt in ihhrem Buch unter anderem, wie Nicolas aus Ruanda geflohen ist. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Journalistin Christine Schulz-Reiss beschreibt in ihrem neuen Buch die Schicksale von Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen. Ihre Zielgruppe sind Jugendliche

Von Christine Setzwein, Seefeld

"Der achtjährige Nicolas war Kindersoldat. Er musste in seiner Heimat Ruanda erst mit ansehen, wie Rebellen seinen Vater erschossen und dann die Mutter vergewaltigten. Schließlich nahmen die Bewaffneten ihn und seinen Bruder mit, verschleppten sie ins Nachbarland Kongo und lehrten sie, Menschen mit der Waffe zu töten. Nicolas' Bruder versuchte zu fliehen, wurde aber erwischt und zu Tode gefoltert. Danach wagte auch Nicolas die lebensgefährliche Flucht und schaffte es über die Grenzen nach Kenia. Dort lebt er jetzt in einem Flüchtlingslager. Wie es mit ihm weitergeht, weiß er nicht."

Das Schicksal von Nicolas ist nur eines von vielen, das Christine Schulz-Reiss in ihrem neuen Buch beschreibt. "Flucht und Integration" ist das aktuelle Thema in der Reihe Nachgefragt, in der der Loewe-Verlag Basiswissen zum Mitreden für Jugendliche ab zwölf Jahren bietet. Es ist das 13. Sachbuch der 60-jährigen Journalistin. In die fünf Weltreligionen, in Politik und Philosophie, in berühmte Persönlichkeiten der Geschichte hat sie sich schon vertieft, immer mit dem Ziel, vermeintlich komplizierte Sachverhalte so verständlich und lebensnah zu erklären, dass sie auch junge Leute begreifen. Ein halbes Jahr hatte sie Zeit für das neue Buch, "und ich habe Blut und Wasser geschwitzt", sagt sie. Allein die Recherchen seien "unglaublich" gewesen, obwohl ihr das Thema nicht fremd war. In der Roland-Berger-Stiftung hat sie als Mentorin einen jungen Afghanen betreut, mit einem ägyptischen Freund das Thema Flucht und Integration diskutiert. Und schließlich "komme auch ich aus einer Flüchtlingsfamilie". Auch wenn sie 1956 im fränkischen Forchheim geboren wurde, "war ich nur das Flüchtlingskind".

So hochaktuell das Thema ist - es ist doch so alt wie die Menschheit selbst, erklärt Schulz-Reiss ihren jungen Lesern. Schon Adam und Eva wurden vertrieben. Die Bibel ist voll solcher Geschichten. Abraham, der Stammvater von Juden, Christen und Muslimen, floh wegen einer Dürre nach Ägypten, genaugenommen war er damit "der erste Wirtschaftsflüchtling der Geschichte". Die Menschen flohen vor der Pest und vor den Hunnen, vor Glaubenskriegen und vor Armut, vor Nazis und der Stasi. Willkommen waren sie selten, auch daran hat sich bis heute nichts geändert. "Das Thema beschäftigt jeden", so Schulz-Reiss. In nicht wenigen Familien fliegen die Fetzen, wenn über Flüchtlinge diskutiert wird. Die Fremdenangst geht um.

Seit 1991 arbeitet die Mutter einer 25-jährigen Tochter als freie Autorin für Magazine. Davor war sie, nach einem Volontariat bei den Stuttgarter Nachrichten, Politikredakteurin und schließlich stellvertretende Leiterin des Ressorts Reportagen, Magazin und Nachrichten. Heute schreibt sie nicht nur Bücher und Reportagen für P.M. und Geo, sie macht Öffentlichkeitsarbeit für die Volkshochschule und hält Vorträge. Für die Fernsehreihe "Unterwegs in der Weltgeschichte" mit Hape Kerkeling hat sie Texte geschrieben.

Was ihr besonders gefällt, sind Lesungen aus ihren Büchern an Schulen. "Der Kontakt zu meiner Zielgruppe ist immer wieder spannend", sagt sie. Auch aus ihrem neuen Buch hat sie schon vorgetragen. Und festgestellt, dass der Informationsbedarf und das Interesse der Schüler sehr groß seien: "Ich merke, wie es in den Köpfen rattert." Ihr Anliegen gerade beim Thema Flucht und Integration ist, "nicht hier die Guten und dort die Bösen auszumachen". Mit ihren Lesungen will sie vor allem auch Kindern aus fremdenfeindlichen Familien die Chance geben, sich zu informieren. Und so klärt sie auf über Migranten und das Recht auf Asyl, über Pegida und Co., Kopftuch und Minirock, Leitkultur und Demokratie. Ihr Appell an ihre Leser: "An unserem Umgang mit Flüchtlingen wird sich zeigen, wie ernst wir die Grundwerte Respekt, Toleranz und gleiche Rechte für alle nehmen."

Schon sechs Landeszentralen für politische Bildung haben das Buch geordert. Christine Schulz-Reiss hat jetzt wieder Zeit, selber zu lesen. "Querbeet", sagt sie. Und natürlich schreibt sie weiter. Denn der Beruf des Journalisten hat das Privileg von Kindern: "Fragen, fragen, fragen."

Christine Schulz-Reiss, Nachgefragt: Flucht und Integration, Loewe-Verlag, 144 Seiten, 6,95 Euro, ab zwölf Jahren.

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: