Ortsgeschichte:Kleiner Ort - ganz groß

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Breitbrunn wird in diesem Jahr 750 Jahre alt. Ein Anlass für die Heimatforscher, endlich eine Chronik für diesen Ortsteil der Gemeinde Herrsching herauszugeben. Ein Werk, für das noch historische Bilder gesucht werden

Von Christine Setzwein, Schlagenhofen/Breitbrunn

Mit Geburtstagen ist das so eine Sache. Jedenfalls mit denen von Siedlungen. Funde wie Schwerter, Fibeln oder Hügelgräber können Aufschluss darüber geben, wann sich Menschen wo aufgehalten wurden. Aber herauszufinden, wann genau zum Beispiel Breitbrunn gegründet wurde, kann mangels Aufzeichnungen ziemlich kompliziert sein. Robert Volkmann kann davon ein Lied singen. Aber der pensionierte Lehrer und passionierte Heimatforscher aus Schlagenhofen lässt da nicht locker. Und er hat immerhin ein gesichertes Datum gefunden: In einer Schenkungsurkunde des Herzogs Ludwig aus dem Jahr 1266 wird Breitbrunn nach Dießen übereignet. Dieser Ludwig, auch "der Strenge" genannt, war ein recht jähzorniger und eifersüchtiger Bursche. Weil er seiner schönen Gemahlin Marie Untreue unterstellte, ließ er sie kurzerhand enthaupten. Dabei war alles, wie früher halt üblich, nur eine böse Intrige. Als Buße schenkte er dem Kloster Dießen die alte Pfarrei Breitbrunn. Damit war Breitbrunn erstmals urkundlich erwähnt, und der heutige Ortsteil von Herrsching kann 2016 seinen 750. Geburtstag feiern - auch wenn Funde bezeugen, dass die Gegend um den Ammersee schon viel früher besiedelt war.

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Bilder aus längst vergangenen Tagen sollen die Chronik von Breitbrunn zieren. Eine Luftaufnahme,...

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...aber auch Bilder, die den Alltag,...

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... die Landwirtschaft...

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...oder das Ammerseeufer zeigen.

Jedes Jubiläum braucht eine Chronik. Und so recherchieren und schreiben die Mitglieder des Arbeitskreises Heimatbuch Breitbrunn nun schon seit geraumer Zeit, damit das 400-Seiten-Werk mit seinen 300 Bildern und 850 Anmerkungen auch rechtzeitig fertig wird. Wenn es denn erscheinen kann. Aber dazu später.

Auf alle Fälle haben Jakob Schrafstetter, Hans-Ulrich Greimel, Hermann und Herbert Breitenberger, Kuni Pupeter, Richard Schmautz als Hauptorganisator und besagter Robert Volkmann spannende Geschichte und schöne Geschichten festgehalten. Herausgekommen ist ein Lesebuch, ein Bilderbuch und ein Heimatbuch in einem. Zu den Autoren gehören auch der Kirchenpfleger Jakob Schrafstetter, der Theologe und Kirchenhistoriker Georg Denzler, der Kunsthistoriker Klaus Kraft und Richard Suchenwirth.

Die Chronik enthält auch Bilder, die den Alltag in der Landwirtschaft zeigen. (Foto: oh)

Suchenwirth hieß bis 21. Juni 1922 Richard Suchanek. Als solcher wurde er am 8. Oktober 1896 in Wien geboren, als Richard Suchenwirth ist er am 15. Juni 1965 in Breitbrunn gestorben. Der Historiker arbeitete in Wien als Lehrer und war Mitbegründer der österreichischen NSDAP. Nachdem die Partei 1934 verboten worden war, flüchtete er nach Deutschland. Unter "Lockender Süden" beschreibt er seine Jahre in Breitbrunn, wohin er 1937 gezogen war.

Kirchen, Vereine, Gewerbe, Schule, Kommunalpolitik haben eigene Kapitel, und viel Platz widmet der 66-jährige Volkmann der Zeit des Nationalsozialismus'. Die Nazis hatten es offensichtlich nicht ganz so leicht in Breitbrunn. "Mangels ausreichender Mitgliederzahlen dauert es noch einige Jahre, bis man in Breitbrunn nach einer Zelle der Partei auch eine richtige Ortsgruppe vorweisen konnte", schreibt Volkmann - es war die letzte Gründung im östlichen Ammerseegebiet. Was ehemalige NS-Politprominenz nicht daran hinderte, sich in dem kleinen Ort niederzulassen. Karl Fiehler zum Beispiel, früherer NSDAP-Stadtrat und Oberbürgermeister in München, Blutordensträger, fanatischer Antisemit und Obergruppenführer der SS, "führte nach seinem Zuzug aus Buch ein recht zurückgezogenes unauffälliges Leben in der neuen Siedlung in Breitbrunns Norden", schreibt Volkmann. Auch Traudl Junge, Hitlers persönliche Sekretärin, lebte einige Jahre in Breitbrunn.

Jedes Jubiläum braucht eine Chronik. Und so recherchieren die Mitglieder des Arbeitskreises Heimatbuch Breitbrunn nun schon seit geraumer Zeit. (Foto: oh)

Zum Schlupfloch wurde das Dorf am Ammersee für Stefan Popel. Auf diesen Namen hat ihm das Landratsamt Starnberg zumindest Personaldokumente ausgestellt, in Wirklichkeit hieß der Mann Stepan Bandera, ein zwielichtiger Ukrainer, der sich mit Frau und drei Kindern in Breitbrunn vor dem sowjetischen Geheimdienst KGB versteckte. In München wurde er 1959 Opfer eines Blausäureattentats.

Nicht verstecken musste und wollte sich Rudi Schuricke. Mit dem Schlager "Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt" wurde der Sänger und Schauspieler Ende der 1940-er Jahre ein Star. Enrico Mainardi, begnadeter Cellist, Dirigent und Komponist lebte in Breitbrunn so wie der Archäologe Ernst Buschor. Er, seine Frau Berta und seine Tochter Hera, die mit Elias Canetti verheiratet war, sind auch in Breitbrunn begraben.

Die Chronik ist ein Lesebuch, ein Bilderbuch und ein Heimatbuch in einem. (Foto: oh)

Jetzt sucht der Arbeitskreis noch alte Fotos. Und dann sollten die Breitbrunner nachschauen, ob sie vielleicht Werke von Breitbrunner Künstlern hängen haben, die man fotografieren könnte. Von Josef Seché zum Beispiel, Hans Maurus, Otto Kofahl oder Will von Gaessler. Seché hat laut Volkmann "das halbe Dorf porträtiert".

Schön zu lesen ist das Buch, das im Jubiläumsjahr erscheinen soll. Soll, denn auch wenn die - ehrenamtliche - Arbeit schon so weit fortgeschritten ist, gilt es noch eine große Hürde zu überwinden. Die Finanzierung ist mehr als ungewiss, nachdem sich die Gemeinde Herrsching geweigert hat, als Herausgeber des Buches zu fungieren und die Vorfinanzierung zu übernehmen. Der Gemeinderat hat sich lediglich zu einem Zuschuss in Höhe von 3000 Euro durchgerungen. Für Richard Schmautz "ein Schlag ins Gesicht". Um die 15 000 Euro seien nötig, damit das Heimatbuch erscheinen kann. Ohne Vorfinanzierung ein Ding der Unmöglichkeit. Sollte sich jemand finden, der das übernehmen möchte: Ansprechpartner sind Schmautz, Hermann Breitenberger oder Robert Volkmann.

Bilder aus längst vergangenen Tagen sollen die Chronik von Breitbrunn zieren. Hier eine Luftaufnahme. (Foto: oh)

Schade wär's schon, wenn die Arbeit vergeblich gewesen wäre. Über Breitbrunn gibt es bisher keine umfassende Chronik, und die Zeitzeugen sterben langsam aus. "Heimat ist da, wo Erinnerung sich auskennt. Und bewahren kann man nur, was man kennt", heißt es im Vorwort.

© SZ vom 12.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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