Porträt:Dem Tod Trost abtrotzen

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Frank Bärwaldt hat zwanzig Jahre lang als Pastor bei der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde in Starnberg gearbeitet - bis ihn private Umstände zum Aufgeben zwingen. Nun ist er Trauerredner

Von Boris Messing

Lässig sitzt er auf dem buntgescheckten Sessel in seinem Büro, die Beine übereinander geschlagen, eine Hand sicher auf der Lehne ruhend. Wenn er spricht, lächeln wasserblaue Augen aus einem gebräunten Gesicht. Das graue Haar ist kurz geschnitten, die Wangen ausrasiert, nur der Kinnbart lässt ihn etwas spitzbübisch wirken. Ein anthrazitfarbener Anzug und eine bordeauxrote Krawatte runden das Bild des gepflegten Mannes ab. Frank Bärwaldt, 56, drei Kinder, geschieden, ist diese äußere Erscheinung wichtig. Er will seriös auftreten. Denn in seiner Arbeit geht es um Tod und Trauer. Bärwaldt ist Grabredner.

Ursprünglich stammt Bärwaldt aus Wuppertal. Nach dem Studium der evangelischen Theologie wird er als Pastor nach Starnberg geschickt. Dort sollte er eine evangelisch-freikirchliche Gemeinde aufbauen. Bärwaldt ist damals 28 Jahre alt und frisch verheiratet. Die evangelische Freikirche in der Josef-Jägerhuber-Straße in Starnberg gibt es heute noch. Doch Bärwaldt ist kein Teil mehr von ihr. Zwanzig Jahre lang hatte er die Gemeinde aufgebaut und dann noch eine zweite in Weilheim. Am Anfang habe er kein großes Selbstvertrauen gehabt, sagt er heute, aber nach ein paar Jahren hätten die Leute immer stärker Vertrauen zu ihm gefasst, ihn um Rat gebeten, zu ihm aufgeschaut. Ein Glück. Aber keines von Bestand.

Nach 19 Jahren Ehe verlässt ihn plötzlich seine Frau. Er habe das nicht kommen sehen, sagt er, und rutscht kurz auf dem Sessel rum. Es sei ein Schock gewesen. Aber er machte einfach weiter. Als er nach kurzer Zeit eine neue Freundin findet, kommt er in die Bredouille. Ein geschiedener Pastor mit Freundin, das passt nicht in das moralische Konzept vieler Gemeindemitglieder. So zumindest sieht es die Gemeindeleitung. Sie stellt ihn vor die Entscheidung: Kirche oder Frau.

Längst lassen sich die Menschen nicht mehr nur auf einem normalen Friedhof bestatten, sondern auch in Friedwäldern, wie hier in Krailling. (Foto: Privat)

Bärwaldts Wahl fällt auf die Frau. Nach nur einer Woche ist sein bisheriges Leben vorbei. Er wird aus der Gemeinde, ausgeschlossen, er muss aus der Kirche austreten, er ist arbeitslos. Seine Kinder ziehen zu seiner Ex-Frau. Ein paar Monate bekommt er noch Gehalt. Dann arbeitet er für ein halbes Jahr in einer Schuhfabrik in Weilheim. Als tiefen Fall habe er das aber nie empfunden, betont Bärwaldt. Aber um Orientierung habe er schon ringen müssen. Die Lösung kommt schließlich aus der Starnberger Gemeinde, die er jahrelang aufgebaut hat.

Ein alter Mann besteht in seinem Testament darauf, dass Bärwaldt seine Grabrede halten solle. Der damals 49-Jährige muss nicht lange überlegen. Er entscheidet sich, die Rede zu halten, nicht mehr als Pastor, wohl aber in einer ähnlichen, neuen Rolle. Und diese gefällt ihm. Eine Kooperation mit dem Starnberger Bestatter Zirngibl schafft schließlich das Fundament für seine neue Karriere als Trauerredner. Seither sind sieben Jahre vergangen. Bärwaldt hat etwa 1500 Beerdigungsreden am Grab oder in der Aussegnungshalle gehalten. Allein 250 im vergangenen Jahr; das sind im Schnitt fünf Trauerreden in der Woche. Er hat auch Hochzeitsreden und Taufreden im Angebot, aber die sind im Vergleich mit dem Geschäft mit dem Tod nur marginal. Mittlerweile hat er sich zum Profi entwickelt, hält religiös geprägte Reden und säkulare, so wie es gewünscht wird. Die Vorgehensweise bleibt dabei immer gleich.

Er macht Hausbesuche von etwas mehr als einer Stunde, um ein Bild des Verstorbenen zu bekommen, dann geht er ins Büro und schreibt die Rede. An die 400 Euro verlangt er für einen Hausbesuch, 300 für ein Telefongespräch; dauert es mal länger, schlägt er etwas drauf. Manchmal komme er sich da wie ein Krämer vor, sagt er, aber es sei halt sein Beruf. Und den sieht er als Berufung. Das wichtigste Rüstzeug seien Empathie und Leidenschaft, meint Bärwaldt. Kurz bevor er zu einem Hausbesuch ginge, müsse er sich völlig von Alltagslasten befreien, um offen für die Geschichten der Verwandten zu sein. Wie ein Schwamm versuche er diese aufzusaugen. Meist sei es nur eine Person, mit der er spreche, manchmal auch mehrere. Dann könnten sich die Geschichten über den Verstorbenen auch widersprechen. So etwas wie die Wahrheit über einen Menschen gebe es nicht, erklärt er, nur unterschiedliche Perspektiven. Die Betroffenen überhöhten zuweilen den Verstorbenen oder degradierten ihn, das mache es bisweilen schwer, dem Gestorbenen gerecht zu werden. In seinen Reden glätte er oft die Wogen und versuche, versöhnliche Töne anzuschlagen.

Frank Bärwaldt bei einer Trauerrede, auf die er sich in Gesprächen mit Angehörigen vorbereitet. (Foto: Privat)

Einmal sagt eine Frau gar zu ihm, dass sie nichts Gutes über ihren Mann zu sagen habe. Ein anderes Mal ist er mit einer Familie konfrontiert, die ihren zwölfjährigen Sohn verloren hatte. Der Vater, ein Chirurg, hatte nichts von dem angeborenen Herzfehler seines Sohnes gewusst. Als er ihn zum Essen gerufen habe, sei keine Antwort gekommen, erzählt der Vater Bärwaldt. Der Vater findet seinen Sohn bewusstlos auf dem Boden, er kann ihn nicht retten. Die ganze Schule sei zur Beerdigung gekommen, erzählt Bärwaldt. Bei so schwierigen Fällen kämen ihm bei den Reden schon einmal die Tränen.

Und gute Fälle, gibt es die? Bärwaldt lacht auf: "Natürlich gibt es die." Die "coolste Beerdigung" habe er in Aubing erlebt. Da sei ein Mann aus einem Motorrad-Club gestorben. Die Freunde durften mit ihren Maschinen auf den Friedhof und kurz den Motor aufheulen lassen. Mit einer Verbeugung und Faustschlag an die Brust hätten sie sich von ihrem Freund verabschiedet. Das habe ihn beeindruckt.

Bärwaldt fährt selbst ein Motorrad, eine Harley-Davidson, das gibt ihm ein Gefühl von Freiheit. Und was macht er sonst noch in seiner Freizeit? An der Börse spekulieren, mit dem Hund spazieren gehen und viel, viel lesen. Eines seiner Lieblingsbücher stammt von Tiziano Terzani. Der Titel lautet "Das Ende ist mein Anfang". Irgendwie passend.

© SZ vom 31.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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