Pop-up in Berg:Randfiguren ins Zentrum gerückt

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Pessimistischer Blick in die Zukunft: die jungen Künstler Markus Meusch, Elena Carr und Jonas Beutlhauser (v.li.) in der Gruppenzwangsjacke. (Foto: Nila Thiel)

Eine Performance zur Novemberrevolution und schräge Musik runden das Festival ab

Von Ute Pröttel, Berg

So jung wie die Künstler, so jung war auch das Publikum, das am Samstagabend zur Performance "Moritat am Apparat, Gebrüder Gandorfer & Komplizinnen" in den Berger Marstall gekommen war. Den Apparat, den die jungen Künstler Elena Carr, Jonas Beutlhauser und Marius Meusch dazu verwendeten, nennen sie ein Gehschreibe. Eine Art Drehorgel für Text und Bilder. Vor die Brust geschnallt fungiert er wie ein Display. Bilder werden manuell aufgerollt. "Wie eine analoge Powerpointpräsentation", erklärt die Starnbergerin Elena Carr. Der aus Holz zusammengebaute Apparat hat Mehrfachfunktion, er kann auch als mobiles Schreibpult oder als Lesepult verwendet werden.

In ihren Moritaten stellen die Komplizen - so nennt Elena Carr die Partner ihrer unterschiedlichen Kunstaktionen - fünf Figuren in den Fokus. Darunter die Aktivistin Anita Augspurg (1857 bis 1943) sowie die an der Novemberrevolution 1918 aktiv beteiligten Münchner Politiker Karl und Ludwig Gandorfer. Der eine der Brüder gehörte dem Bayerischen Bauernbund an, der andere der SPD, beziehungsweise der USPD.

Mit einem roten Samtband über den Augen verkörpert Beutlhauser den erblindeten Ludwig Gandorfer. Auf dem Gehschreibe-Apparat vor seiner Brust prangen Bilder aus einer anderen Zeit: das Bild eines stolzen Herren im Kolonialanzug, ein ehemaliger Gutshof. Während Beutelhauser von Gandorfers Zusammentreffen mit Kurt Eisner deklamiert, folgen weitere Bilder auf dem analogen Display. Auf ganz ähnliche Weise erinnert Carr an Anita Augspurg.

Sie betreiben "Oral History", wie sie es selbst nennen: Setzen den in der geschriebenen Geschichte verankerten Persönlichkeiten Menschen entgegen, die in der Geschichtsschreibung ignoriert werden. Deren Tun in der zweiten Reihe jedoch für den Fortgang der Geschichte durchaus nicht unerheblich war.

Diese gerade von der Akademie kommende Künstlergeneration - Marius Meusch wurde soeben mit dem Absolventenpreis der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg ausgezeichnet, Elena Carr absolviert ihre Abschlussarbeit Ende dieser Woche in Wien - dehnt ihr Verständnis von Kunst weit über den Begriff der Bildenden Kunst aus. Soziologie, Philosophie und Geschichte ebenso wie Technologie und Kommunikation spielen in ihr Schaffen hinein. Dass sie dabei nicht als eingeschworenes Kollektiv auftreten, dafür steht die Gruppenzwangsjacke, in der sie sich zu Beginn ihrer Performance zwängen. "Die Zwangsjacke steht für Dystopie", sagt Carr später. Sie wirft einen pessimistischen Blick in die Zukunft. Bleibt die Frage: Kann Kunst die Welt verändern?

Für Auflockerung nach den Moritaten sorgte das Duo "Rafael und Franz machen Musik für dich." Wunderbar schräg sangen sie - Rafael am Keyboard, Franz gelegentlich an der Rote-Beete-Dose im Kantinenformat - von Fleisch, das der Vegetarier nicht in seinen Mund lässt, von einem wirren Tag und vom T-Rex in der Zukunft. Kuratorin Katja Sebald freute sich über das neue Klientel im Berger Marstall und sah sich darin bestätigt, dass junge Kunst eben auch ein junges Publikum mobilisiert.

© SZ vom 30.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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