Mitten in Starnberg:Die Stadt, der See und das Meer

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Der Brunnen auf dem Kirchplatz ist ein technisches Wunderwerk: Es erzeugt sogar Wellen

Von Gerhard Summer

Der Starnberger Kirchplatz wird mit Stiefeln und Sandalen getreten, das ist seine Bestimmung, aber vor ein paar Jahren trampelten die Leute geradezu auf ihm herum. War das eine Aufregung! Jeder, der gerade nichts Besseres zu tun hatte, kam des Wegs und behauptete, dass diese Oase nach dem Umbau keinen Deut besser aussehe als vorher, ja eine Klinkerwüste made in China geworden sei. Ein kleiner blasser Ableger des Tian'anmen-Platzes, was wirklich weit hergeholt war. Oder eine in Stein gemeißelte Verschwendung von Steuergeld. Ach ja, das ist zum Glück länger her, inzwischen hat sich die Aufregung gelegt und dem Starnberger ist längst aufgegangen, was er am Kirchplatz hat. Zum Beispiel kann man an Samstagnachmittagen stundenlang an seinem Rand im Café sitzen und gespannt beobachten, dass auf dieser schiefen Ebene rein gar nichts passiert oder doch verdammt wenig. Und sich vor den wunderbaren, holzgerahmten Brunnen stellen und der Brandung bei der Arbeit zuschauen.

Ja, Leute, der Kirchplatz hat zwei Brunnen, und dieser eine ist eine Wucht. Tief in seinem Inneren ächzt es, als ob jemand in einer Ein-Mann-Galeere im Untergrund schuften müsste. Womöglich irgendein Abtrünniger, der bei Bürgermeisterin Eva John zu Recht in Ungnade gefallen ist. Zwei schwindlige Fontänen glucksen hoch, und schon schwappt die Welle daher und läuft ruhig aus. Ist das jetzt ein Abbild des Sees? Ein Symbol dafür, dass in Starnberg ewig Ebbe ist? Nein, das ist die Meeresbrandung!

Der informierte Einheimische weiß natürlich, dass diese einzigartige Stadt angeblich kein Meer braucht, weder ein schwarzes noch ein rotes. Das lehrt zumindest der Werbeslogan eines früheren Tourismusmanagers: "Wenn ich den See seh, brauch' ich kein Meer mehr!" Andererseits muss man sagen, dass der Starnberger für gewöhnlich den See gar nicht sieht, ganz im Gegensatz zum Kirchplatz. Weil er nämlich den ganzen Tag rudern und schuften muss und erst abends, wenn es zappenduster ist, mit dem Ferrari in seine Villa sausen kann. Genauer gesagt ist es sogar so, dass man in diesem Ort immer nur auf den Kirchplatz trifft, wenn man den See sucht. Was letztlich für den Brunnen spricht: "Wenn ich den See nicht seh', brauch' ich das kleine Meer um so mehr".

© SZ vom 25.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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