Mitten in Starnberg:Das Wunder vom Bahnhof-Nord

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Warum S-Bahnfahren manchmal richtig schön sein kann

Von Christiane Bracht

Es gibt Tage, da geht einfach alles schief. Man steht morgens auf, rutscht auf dem Bettvorleger aus und versucht, den großen blauen Fleck zu ignorieren und sich zu beeilen. Doch dann klemmt auch noch das Garagentor. Kaum zwei Kreuzungen weiter springt die Ampel auf rot und mag gar nicht mehr grün werden. Und schon ist man zu spät bei der Arbeit. Dort geht es gerade so weiter: Der Chef schimpft, der Kollege schüttet einem Kaffee über die Hose, das Essen in der Kantine ist angebrannt, und dann rufen auch noch lauter freundliche Querulanten an. Der Glaube an das Gute ist längst verloren gegangen. Unwillkürlich beginnt man, sich die schlimmsten Dinge auszudenken. Und das Komische ist: All das trifft auch noch ein. Der Engländer nennt das self fullfilling prophecy. Am Ende würde man am liebsten im Bett liegen bleiben.

Doch was, wenn das Gegenteil passiert? Wenn plötzlich alles glatt geht? Wenn sich immer alles zum Guten wendet? Kann es solche Wunder überhaupt geben? Nehmen wir die S-Bahn. Als Pendler ist man leidgeprüft. Stundenlang steht man sich morgens und abends die Beine in den Bauch. Die Minuten verrinnen, nur auf der Anzeige leider nicht. Dort heißt es bereits seit einer Viertelstunde, dass die S-Bahn in einer Minute da sein wird. Oft genug kommt sie überhaupt nicht. Informationen gibt es selten. Wer kommt da noch auf die Idee, von der Bahn etwas Gutes zu erwarten? Das muss doch ein Traumtänzer sein.

Doch es gibt nichts, was es nicht gibt. Eine Starnbergerin hat letzthin so eine Art Wunder erlebt, und sie war so beglückt darüber, dass sie sogleich zur Zeitung rannte. "Das muss man doch unbedingt veröffentlichen", sagte sie. Was geschah? Die Seniorin war spät dran, die S-Bahn fuhr schon in den Bahnhof-Nord ein, als sie noch eine Fahrkarte kaufen musste. Doch die Sonne stand so ungünstig, dass sie kaum etwas auf dem Display lesen konnte. Oh, weh, so schnell geht das nicht, dachte sie und winkte dem Lok-Führer, er solle einfach ohne sie weiterfahren. Doch der Zug blieb stehen.

Und dann geschieht das Unfassbare: Der Lokführer steigt aus, geht auf die Dame zu, fragt höflich, welche Fahrkarte sie denn brauche, und hilft, mit schlafwandlerischer Sicherheit das Tagesticket aus dem Automaten zu holen. "So was hab ich noch nie erlebt", sagt die Dame noch immer ganz platt. Manchmal geschehen halt doch noch Zeichen und Wunder - auch bei der Bahn.

© SZ vom 08.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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