Der moderne Mensch ist leider gezwungen, flexibel zu sein. Multi-Tasking nennt sich dieses entfremdete Dasein, das mit Meetings beginnt und mit Mails aufhört. In dieser großen Anpassungsmaschinerie spielte bislang die Deutsche Bahn den Part des Widerständlers. Hatte ein Zug oder eine S-Bahn Verspätung, musste der Fahrgast sehen, wie er weiter kommt. Fiel gar eine Zugverbindung aus, war guter Rat teuer. Selbst Durchsagen verweigerte die Bahn, wie in der guten alten Zeit. Ja, da musste man bei einem Bier in der Bahnhofswirtschaft auf die Ankunft des nächsten Zuges warten, sollte dieser jemals kommen. Das ist leider vorbei. Denn der Trend ist unübersehbar, dass auch die Bahn flexibler wird. Den letzten Beweis lieferte sie am Dienstagabend.
Just am Starnberger Bahnhof Nord stoppte ein Regionalzug, wo doch eigentlich nur S-Bahnen dort halten dürfen. Der Zutritt wurde aber den Wartenden verwehrt, was noch Hoffnung machte. Ja, so ist die Bahn eben, dachte man frohgemut, stur, unflexibel und pedantisch. Es gab nicht mal Proteste unter den Wartenden, weil die Türen sich nicht öffneten. Warum auch? Man war es doch so gewohnt. Aber plötzlich wurden die Einstiege frei gegeben, und zum ersten Mal in der Geschichte des Bahnhofs Nord konnte man einen Regionalzug entern. Gut, der Zug fuhr noch nicht ab, denn den Halt hatte eine Störung verursacht. Also wartete man. Was danach geschah, ist unfassbar: Parallel, auf dem anderen Gleis, das eigentlich für die Züge in Richtung Tutzing vorgesehen ist, rollte eine S-Bahn ein, die zum Ostbahnhof fahren sollte. Mit anderen Worten: Die Bahn hatte die normale S-Bahn auf das andere Gleis geschickt, um die Fahrgäste mitnehmen zu können. Der Höhepunkt: Nach fünf Minuten fuhren eine S-Bahn und ein Regionalzug fast nebeneinander in Richtung München. Ein Österreicher würde sagen: "I werd' narrisch!"