Mitten in Seefeld:Turmfalke und Wohnungsnot

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Bei Wohnungsbesichtigungen geht es schon mal hoch her. So ähnlich ist das auch im Vogelreich, wenn nur ein Nistkasten leer steht.

Von Peter Haacke

Alle Vögel sind schon da, heißt es im wohl schönsten aller deutschen Frühlings- und Kinderlieder, das August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798 bis 1874) ersann. Bekanntlich schrieb der Germanistik-Hochschullehrer auch den Text zum "Lied der Deutschen", dessen dritte Strophe als deutsche Nationalhymne dient. Doch Amsel, Drossel, Fink und Star und auch die ganze Vogelschar sind zuweilen nicht halb so lustig, wie Fallersleben sich das 1835 in seinem fröhlichen Lied so vorstellte. Im Gegenteil: Die Vögelein - evolutionsbedingt streng genommen die Nachfahren der Saurier - verstehen keinen Spaß, wenn es um Wohnungen - vulgo Nester und Nistkästen - geht. Zwischen all das Singen, Musiziern, Pfeifen, Zwitschern und Tiriliern mischen sich im aufkommenden Frühling des Fünfseenlands daher auch Misstöne, die eher an einen verbissen geführten Kampf erinnern.

So berichtete unlängst ein SZ-Leser von Turmfalken, denen seit der Renovierung des Toerring-Schlosses in Seefeld auf Anraten des Vogelschutzbundes im Giebel ein Nistkasten angeboten worden ist. Fast so wie bei einem Wohnungsbesichtigungstermin in München-Schwabing, wo es hoch hergehen kann, gab es um das kostenfreie Vogel-Apartment erbitterten Streit: Zwei Tiere gerieten aneinander und es entwickelte sich um den Nistkasten ein heftiger Zweikampf, der am Boden endete. Schließlich gab einer nach - mit Demutsgebärde auf dem Rücken und vermutlich alles andere als glücklich. Die allgemeine Wohnungsnot scheint demnach auch in der Welt unserer gefiederten Freunde angekommen zu sein.

Während nun aber die Menschheit im Fünfseenland noch über sozialverträgliche Bodennutzung, Einheimischen-Modelle, bezahlbare Mietwohnungen und Flüchtlingsunterkünfte debattiert, machte der Vogelschutzbund Nägel mit Köpfen: Kurzerhand wurde dem unterlegenen Falken ein weiterer Kasten angeboten. Ob er die Behausung annimmt und es "gute Nachbarschaft" mit dem anderen Paar gibt, wird sich noch weisen. Ach ja, Falke müsste man sein. Denn auch Fallersleben empfahl der Menschheit, schlicht dem Beispiel der Vögel zu folgen: "Was sie uns verkünden nun, nehmen wir zu Herzen: Wir auch wollen lustig sein, lustig wie die Vögelein."

© SZ vom 19.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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