Mitten in Gilching:Kunstvolle Kleinbuchstaben

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Namenwörter schreibt man groß, haben wir mal gelernt. Aber Auffallen um jeden Preis geht klein-klein.

Von Patrizia Steipe

Die erste Klasse liegt zwar schon lange zurück, aber an manches kann man sich heute noch erinnern. Zum Beispiel an den Tipp, wie man Namen-Wörter von Tun-Wörtern unterscheiden kann. Was man anfassen kann, das schreibt man in der Regel "groß", so sagte die Lehrerin damals. Ein Haus zum Beispiel kann man anfassen oder Bäume - folglich beginnen beide Worte mit einem Großbuchstaben. Daran hat auch die Rechtschreibreform nichts geändert. Wer in Gilching an der neuen Kinderkrippe und Kindergarten am Frauenwiesenweg vorbei kommt, mag sich im ersten Moment ungläubig die Augen reiben. "haus für kinder" steht da deutlich über dem Eingang. Die Buchstaben hat kein Kind mit fehlenden Orthografiekenntnissen geschrieben. Es sind nämlich feste Lettern, die unter die Kategorie "Kunst am Bau" einzuordnen sind.

"Groß- und Kleinschreibung gehört zu den Grundelementen unserer Sprache", mahnt der Duden, dem zugegebenermaßen ein spießiges Image anhaftet. In der Kreativbranche, zu der man auch die Architekten zählen darf, wird eine solche dogmatische Regeltreue gar nicht geschätzt. Eine durchgängig klein geschriebene Schrift wirke irgendwie ästhetischer und individueller - ist einfach cooler, heißt es dort. Nun gut, über die Hässlichkeit von Majuskeln haben sich wohl die wenigsten Zeitgenossen bereits den Kopf zerbrochen. Man darf aber gespannt sein, was die Lehrer der künftigen ABC-Schützen sagen werden, wenn die "haus-für-kinder"-Schüler konsequent die Großschreibung in ihren Diktaten verweigern. Aus ästhetischen Gesichtspunkten ist der weich fließende Kringel "6", der über einem solch regelwidrig geschriebenen Test stehen wird, sicherlich hübscher als die kantige und streng wirkende "1". Das ist aber auch schon alles. Die Erzieherinnen machen die Mode der Minuskeln übrigens nicht mit. "Haus für Kinder", so heißt es auf der Homepage. Kann man beides ja schließlich anfassen.

© SZ vom 09.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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