Mitten in Gilching:Ein Herz für Krähen

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Es müsste mehr Menschen wie Manfred Schelle geben

Von Patrizia Steipe

Zuerst war es nur ein totes Krähenjunges, das auf der Wiese im Gilchinger BIV-Kindergarten lag. Es war noch klein, und statt Federn hatte es Kiele. Es war wohl aus einem der Nester gefallen, die eine Krähenkolonie auf den hohen Fichten im Garten der Einrichtung errichtet hatte. Tagelang hatte man zuschauen können, wie die Rabenvögel Nistmaterial herangeschleppt und zu Nestern geflochten hatten. In den nächsten Tagen wurden immer mehr tote Jungvögel gefunden. Die Erzieherinnen machten nun Kontrollgänge in der Früh, um den Kindern den Anblick der toten Vogelbabys zu ersparen. Erklären konnte den Vogeltod niemand. Für Katze oder Marder lagen die Nester viel zu hoch.

War es der Mensch, der die Tiere wegen ihres Gekrächzes und des Kots, der oft auf Autodächern landet, umgebracht hatte? Aber wie hätte er einzelne Junge aus solcher Höhe aus dem Nest herausholen können? Oder sind die Krähen dieser Kolonie sprichwörtliche "Rabeneltern", die ihre hilflose Brut eigenhändig aus dem Nest geworfen hatte? Ein Anruf bei dem Wildtierexperten aus Weßling brachte eine Erklärung: Der Hunger habe die Tiere aus den Nestern getrieben, sagte Manfred Schelle. Entweder seien die Tiere selbst aus dem Nest gehüpft oder die Eltern haben den Nachwuchs, den sie nicht ernähren konnten, hinausgestoßen. Schuld an der Misere sei der Mensch. Schelle erinnert sich noch gut an früher, als sich die Krähen an den Maikäfern satt fressen konnten. "Die Maikäfer haben wir ausgerottet". Fliegen und Mücken können die Krähen nicht fangen. "Ihnen bleibt nichts anderes übrig als den ganzen Tag lang auf die Suche nach Nestern mit Jungvögeln zu gehen", weiß der Tierschützer. Doch auch die Singvögel hätten Probleme damit ihre Brut aufzuziehen. Es gebe kaum mehr Blumenwiesen, auf denen nahrhafte Insekten sitzen. Schwarz vor Raupen seien früher die Brennesselfelder gewesen.

Und heute? "Nichts mehr", bedauerte Schelle. "Ein einziges Drama" sei die Situation, die sich von Jahr zu Jahr verschärfe. Zumindest in Schelles Umfeld müssen die Tiere nicht hungern. Schelle hat eine Futterstelle für Rabenvögel geschaffen. Dort bringt er seine Speisenreste hin, statt sie in den Müll zu werfen. "Den ganzen Tag über fliegen zwei Raben hin und her und holen es sich." Und falls sich andere Tiere daran laben, dann stört das Schelle auch nicht, denn er hat ein großes Herz für alle Lebewesen.

© SZ vom 13.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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