Mitten in Erling:Durchlass nur für Ameisen

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Am Wochenende hieß es für so manchen Andechser daheim bleiben. Denn die Ortsdurchfahrt war gesperrt

Von GERHARD SUMMER

Wie lange Goethe an seinem "Faust" herumgemacht hat, ist leider schwer zu sagen. So ein Buch ist nun mal kein Straßenausbau mit ausgeklügeltem Ablaufplan. Nein, da kommt dieses und jenes dazwischen, mal platzt eine Liebschaft herein, mal muss Grundlegendes zur Farbenlehre festgehalten werden, weil es sonst keiner tut. Jedenfalls: So 36 Jahre wird Goethe schon für den ersten Teil gebraucht haben, ganz grob geschätzt. Andechs saniert nun auch schon ein, zwei Jährchen an seiner Hauptstraße herum, in diesem Fall geht es ebenfalls nicht darum, weiches Holz zu spalten. Aus der Perspektive eines Schriftstellers mag das ein Fliegenschiss auf dem unendlich weißen Papier sein. Aber aus dem beengten Blickfeld der Windschutzscheibe betrachtet nimmt sich diese Spanne wie eine halbe Ewigkeit aus. Man weiß ja, wie egoistisch Autofahrer sein können: Sie sehen nicht das Meisterwerk, das da entsteht - weder die makellose Schönheit des neuen Regenwasserkanals noch die schlichte Eleganz der Straßenführung, vor der die Sonne gerührt und ehrfurchtsvoll niedersinken wird. Nein, sie sehen nur den ganzen Dreck. Die Umleitungen. Und die vertane Zeit. So sind sie halt. Allein intaktes Straßenstück macht des Fahrers Glück.

Am vergangenen Wochenende war' s aber wirklich schlimm: Angeblich sollte der "Durchgangs- und Lieferverkehr" auf der Hauptstraße noch möglich sein, doch letztlich galt das wohl nur für Ameisen und Regenwürmer: Von der Erlinger Höhe aus gesehen, dem letzten Eck von Andechs, ging gar nichts mehr. Autofahrer, die dringend nach München mussten, versuchten es auf eigene Faust und mogelten sich an Lastern vorbei, um in Richtung Herrsching zu brausen, wo allerdings auch wieder alles gesperrt war. Was also tun? Gut, man soll Bauarbeiter nicht unterschätzen: Sie haben ihren Goethe intus, oh ja, und räumen für eine hübsche Autofahrerin schon mal ein paar Barrikaden aus dem Weg, um die Straße nach Fischen passierbar zu machen. Und was rufen sie der jungen Frau hinterher? "Du kannst! So wolle nur!" Oder so ähnlich. Jedenfalls ist es schon schön, dass es so menschlich zugehen kann in Andechs.

© SZ vom 25.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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