Mitten in Dießen:Urlaub in der Steinwüste

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Die neugestaltete Flaniermeile wird kaum angenommen, die meisten Passanten drehen nach 150 Metern wieder um. Das ist kein Wunder

Kolumne von Armin Greune

Im Dießener Rathaus vergeht kaum eine Sitzung, ohne dass über die im Mai probeweise eingeführte Fußgängerzone Mühlstraße diskutiert wird. Eigentlich sollte ja der Bereich zwischen Maibaum und Untermüllerplatz samstagnachmittags und sonntags zum Reservat für Flaneure werden. Nun aber legte Verkehrsplaner Robert Ulzhöfer erste Zahlen über die Besucherströme in der Mühlstraße vor. Und das so erhobene Verhalten der Fußgänger gab den Gemeinderäten Anlass zum gründlichen Grübeln.

Dem Experten zufolge waren bei "extrem guten Wetter" am Sonntag, 1. Juli, fast 2000 Flaneure von der Seepromenade in die Mühlstraße spaziert. Von ihnen blieben allerdings die meisten auf den ersten 150 Meter irgendwie stecken, nur 700 schafften es bis zum westlichen Ende des Untermüllerplatzes. Zwei Drittel sind also offenbar beim Anblick der angeblich so gelungenen Mühlstraße auf dem Absatz umgekehrt. Bei den übrigen wurde eine mittlere Verweildauer von 15 Minuten festgestellt, was auch nicht gerade für die angestrebte Aufenthaltsqualität dort spricht.

Kein Wunder: Bis auf eine wenige Quadratmeter große Planschgelegenheit am Tosbecken ist der Mühlbach in Beton und hinter Stahlzäunen eingesperrt worden. Bis auf einen kärglichen Rest am Platz gibt es im unteren Bereich keine Bäume mehr, die Schatten zum Ausruhen spenden. Durchaus verständlich, dass Besucher wenig Lust verspüren, die nach Ladenschluss ziemlich leblose Mühlstraße länger aufzusuchen - so sehr man sich auch bemüht, mit bunt bepflanzten Betongefäßen Attraktivität vorzugaukeln.

Einschränkend muss angemerkt werden, dass die Befragung lediglich 50 Personen umfasste und daher kaum als repräsentativ gelten kann. Auch an seiner Zählung seien Zweifel angebracht, weil er am 1. Juli nicht mehr auf alle Mitarbeiter zurückgreifen konnte, räumte Ulzhöfer selbst ein. Die Erfassung der Verkehrsteilnehmer sollte noch mindestens zweimal wiederholt werden, empfahl der Experte. Der Gemeinderat regte an, auch die mit dem Dampfer angereisten Gäste zu erfassen sowie Passanten in der Unterführung zu den Seeanlagen und am Tosbecken nach ihren Zielen und Wünschen zu befragen. Hoffentlich stehen dem Verkehrsplaner dann wieder alle Mitarbeiter zur Verfügung. Aufschlussreicher aber als Ulzhöfers kaum sortierter Zahlensalat war der Grund, warum die Verkehrszählerin am 1. Juli ausfiel: Sie hatte sich am Vortag bei der Arbeit in der lebensfeindlichen Pflasterwüste einen Sonnenstich geholt.

© SZ vom 31.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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