Mitten in Andechs:Fleischliche Tradition

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Vegetarisches Backhendl: Ein Blick auf die Speisekarte zur Bürgerversammlung im Klostergasthof. (Foto: Astrid Becker)

Backhendl muss ein vegetarisches Gericht sein. Zumindest auf dem Heiligen Berg

Kolumne von Astrid Becker

Es gibt Momente, da gerät die Welt um einen herum ins Staunen. Zum Beispiel neulich im Klostergasthof Andechs. Ja, der hatte schon vor der Eröffnung am Dienstag geöffnet. Soft-Opening nennt man das auf Neudeutsch. Gemeint ist, dass die Wirte noch ein bisschen üben dürfen, bevor es richtig losgeht. Dass die beiden neuen Pächter Manfred Heissig und Ralf Sanktjohanser das brauchen, davon war der eine oder andere bei der Bürgerversammlung vergangene Woche überzeugt. Warum? Weil sich auf der kleinen Karte, die eigens für die Versammlung erstellt wurde, unter "Vegetarisches" auch ein Backhendlsalat fand.

Um es gleich zu sagen: Es handelte sich nicht um ein Tofuhendl. Sondern um fein paniertes Geflügel, das auf einem Salat, flankiert von Remouladensauce und Hühnerei thronte. Vegetarisch ist das nicht. Zumindest nicht nach heutigen Maßstäben. Aber darum muss es auf dem Heiligen Berg ja nicht gehen. Sondern um klösterliche Tradition. Man denke ans Mittelalter. An 130 Tagen im Jahr mussten die Leute fasten, allen voran die Mönche. Fleisch war tabu.

Gut, dass wenigstens Fisch erlaubt war. In die Kategorie fiel sogar der Biber. Das Tier besitzt einen schuppigen Schwanz, ist also ein Fisch. Wer die Schöpfungsgeschichte kennt, weiß genau, warum auch ein Hendl ein Fisch ist: Gott erschuf beide am selben Tag. Der Tradition gemäß hätte also bei der Bürgerversammlung der Backhendlsalat bei den Fischgerichten stehen müssen - nur die gab es gar nicht. Vielleicht hätten sich die Wirte die schwäbischen Maultaschen zum Vorbild nehmen sollen. Seit dem Mittelalter wird für das Gericht Fleisch klein gehackt, kommt in einen Teigmantel. Die "Herrgotts B'scheißerle" gelten seither dort als vegetarisch. Die Wirte hätten also das Backhendl kurzerhand nicht auf, sondern unter den Salat packen sollen. Aber das lernen sie sicher noch. Spätestens bis zur nächsten Fastenzeit.

© SZ vom 15.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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