Mein Tag:Geschliffene Mundwerkerin

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Foto: Hartmut Pöstges (Foto: N/A)

Mechtild Weigert-Sicheneder absolviert die Erzählakademie

Protokoll Von Stephanie Schwaderer

Die Bernrieder Galeristin Martina Marschall hat ihre eigene Art, Kunstwerke für eine Ausstellung auszuwählen: Sie muss lachen können - nicht über das Objekt, sondern aus Freude am Kunstwerk an sich. Als sie im Atelier des Bildhauers Egon Stöckle war, um Exponate für die Ausstellung "Egon Stöckle - Skulpturen und Zeichnungen" auszuwählen, hatte sie viel zu Lachen. Denn der Künstler fängt bei seinen Skulpturen die Bewegung ein. Manche von Stöckles Torso-Darstellungen erinnerten Marschall an Menschen aus ihrem Bekanntenkreis. Es sind die individuellen, für den einzelnen Menschen charakteristischen Bewegungen, wie er geht oder steht. Und Stöckle fängt genau diese Momente ein: Eine Balletttänzerin nicht mit Körper oder Gesicht dargestellt, sondern fast ausschließlich aus den Beinen. Sie sind aber nicht fest im Moment erstarrt, sondern zeigen die fließende Bewegung eines Spitzentanzes. Es scheint, als würde die Tänzerin gerade zur Pirouette ansetzen. Besonders beeindruckend sind seine Darstellungen von Paaren. "Innig" heißt beispielsweise eine Skulptur, bei der zwei Menschen geradezu zu verschmelzen scheinen. Kein Raum ist mehr zwischen ihnen, es ist quasi ein enges Verbundensein, ein Eins Sein. Sie stecken die Köpfe zusammen, teilen Freude und Leid. Doch es ist nicht der Mensch an sich, den der Künstler darstellen will. Es sind die Emotionen, die sich in vielseitigen Bewegungsabläufen ausdrücken. Und es sind diese Emotionen, die Stöckles Kunstwerke auch beim Betrachter auslösen und Erinnerungen wecken. Weil sich der Bildhauer trotz aller Abstraktion und Reduktion aufs Wesentliche streng an die physikalischen Gesetze hält, erzeugen seine Skulpturen eine Dynamik von einzigartiger Kraft. Es ist ein Spiel mit Gleichgewicht, Licht und Schatten. Am Sonntag wurde die Ausstellung eröffnet. Gezeigt werden Arbeiten aus dem 50-jährigen Schaffen des 78-jährigen Künstlers, der noch immer Spaß an seiner Arbeit hat. Die Exponate reichen von einem Frauen-Torso aus Stöckles Akademie-Zeit in den 60er Jahren bis zu einem abstrahierten Baum, seinem jüngsten Werk. Manchmal sind die Bronze-Skulpturen rund und sinnlich, dann wieder kantig und spitz, ja fast schroff, wie beispielsweise seine fast klotzigen Bogentore. Diese massiven Objekte im Garten der Galerie sieht der Künstler als Durchlass für Mensch und Tier, aber auch als Ort der Begegnung und als Kulisse für Bewegung und Tanz. Bei aller Vielseitigkeit seien Stöckles Kunstwerke unverkennbar, stellte Margareta Benz-Zauner bei ihrer Einführung in Stöckles Arbeiten fest. Stöckle bildet aber nicht die Realität ab, er abstrahiert die Wirklichkeit. Die klaren Formen, die der Künstler aus Keilen, Stangen oder Platten zusammenbaut, bezeichnete Benz-Zauner als Arbeiten von "archaischer Strenge", die über ein hohes Maß an Leichtigkeit verfügen. Der Bildhauer variiere diese Formelemente, dreht und wendet sie und verändere so das Gefüge, aus dem dann wieder ein anderes Objekt entstehe. "Gebannt aus abstrakten Formen erwacht die Figur zu neuem Leben", so Benz-Zauner, die die Arbeit des Künstlers schon seit Jahren begleitet. Stöckle, der zunächst Philosophie und Theologie studiert hat, war auf der Kunstakademie Meisterschüler von Professor Heinrich Kirchner. Dieser führte ihn an das Material Bronze heran, das ihn sein Leben lang begleitet habe, sagt er. Stöckle gießt und bearbeitet die Bronze in seiner Werkstatt. Manchmal arbeitet er auch mit Holz. Doch dabei handelt es sich meist um Auftragsarbeiten. "Weil das erschwinglich ist", wie er sagt. Die Arbeiten des Künstlers sind noch bis zum 28.

Juni in der Galerie Marschall zu sehen. Stillstand gibt es nicht in Mechtild Weigert-Sicheneders (Foto: Pöstges) Leben. Viele Jahre hat sie Sport an Schulen in Wolfratshausen, Dietramszell und Königsdorf unterrichtet und 25 Jahre lang die Bauchtanzgruppe "Alfleilawaleila" geleitet. Nach deren Auflösung litt sie vorübergehend unter einem "Kreativdefizit". Dann aber entdeckte sie die "Goldmund Erzählakademie" für sich. Die dreifache Großmutter schließt ihre Ausbildung zur Geschichtenerzählerin ab - mit ihrem ersten Auftritt in Berg.

"Geschichten habe ich schon immer gerne erzählt. Aber jetzt habe ich das Handwerkszeug gelernt: Wie baut man eine Geschichte auf? Wie setzt man sie in Sprache und Gestik um? Wie macht man sie authentisch? Woran ich arbeiten musste? Dass die Geschichte im Mittelpunkt steht und nicht ich, es soll ja kein Theater sein. Das war schwierig, aber auch heilsam. Andere aus unserer Gruppe mussten genau das Gegenteil lernen. Ich gebe meinen Charakteren keine eigene Sprache, sondern eigene Energie. Das dauert, bis man das Gespür dafür bekommt. Auch Improvisation haben wir gelernt. Als Mundwerker muss man davon überzeugt sein, über jeden Hänger spielend hinwegzukommen. Die Geschichte, die ich nächste Woche erzähle, ist ein orientalisches Märchen. In den 15 Minuten stecken eineinhalb Jahre Arbeit. Wir sind 14 Absolventen, uns stehen drei Abende zur Verfügung. Das Ganze wird weniger eine Prüfung als ein Fest. Eigentlich hatte ich beschlossen, keine Geschichten für Kinder zu erzählen, sondern nur für Erwachsene. Aber so ganz stimmt das natürlich nicht. Meinen Enkeln erzähle ich immer etwas. Und Laura, sie ist acht, hat gesagt: Jetzt weiß ich, warum du so schön erzählen kannst. Weil du so viele Falten hast, und in jeder Falte steckt eine Geschichte."

Erzählkunstabende im Haus Buchenried (Assenbucher Straße 45, Berg-Leonie) mit Absolventen der Goldmund Erzä hlakademie am 19., 20. und 21. Mai, Beginn jeweils 20 Uhr; Mechtild Weigert-Sicheneder ist am Mittwoch, 20. Mai, an der Reihe.

© SZ vom 18.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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