Manfred Schelle:Wo Rehe auf Reha gehen

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Eigentlich ist Manfred Schelle Kfz-Meister. Doch seit seiner Pensionierung hat er eine Rehaklinik aufgemacht - für Wildtiere.

Armin Greue

Im Wohnzimmer piepsen fünf Entenküken um die Wette. In der Gartenvoliere wartet ein Buntspecht darauf, verarztet zu werden. Nebenan genießen ein Turmfalke und eine Rabenkrähe Kost und Logis im Gehege. Und ein Rehkitz duckt sich in die Wildblumenwiese, weil es von der alteingesessenen Ricke nicht immer geduldet wird. Kaum zu glauben, dass es in der Menagerie von Manfred und Klara Schelle oft noch wesentlich lebhafter zugeht als an diesem Sommertag. Seit der Frühpensionierung vor 16 Jahren widmet sich Manfred Schelle ganztags seiner Rehaklinik für Tiere, Urlaub gab es seither nicht mehr.

Er ist Reha-Doktor für Wildtiere: Manfred Schelle zieht mit einer jungen Waldohreule. (Foto: region.sta)

Wohl mehr als tausend verletzte oder verwaiste Wildtiere sind in dem kleinen Häuschen mit großem Garten in der Dorfmitte von Hochstadt, einem Ortsteil von Weßling, ein- und ausgegangen: Hasen und Igel, Marder und Siebenschläfer, Sing- und Greifvögel, Eulen und Fledermäuse. Nur mit Dachsen habe er noch keine Erfahrungen sammeln können, sagt Manfred Schelle fast bedauernd.

Um so mehr kennt er sich mit Füchsen aus: Sie mit Fläschchen, Trockenfutter und Rinderbacke aufzuziehen, sei kein Problem, sagt er. Im vergangenen Jahr waren vier Fuchswelpen aufzupäppeln, die in einem Kellerschacht in Gauting gefunden wurden. Die vom Hausbesitzer verständigten Polizisten hatten sich erst an den zuständigen Jäger gewandt: Der, so sagt man, wollte die Welpen erschlagen. Man kann sich die Erleichterung der Beamten vorstellen, als sie die Tiere bei Schelles abgeben durften.

"Es ist ein Armutszeugnis, dass es in ganz Bayern keine offizielle Aufzucht- und Pflegestation für Wildtiere gibt", findet Schelle. Der pensionierte Kfz-Meister hat sich sein umfassendes biologisches und veterinärmedizinisches Wissen aus Büchern angeeignet.

Schelle betont, dass er seine Gäste nach der Pflege nicht einfach aussetzt, sondern allmählich auswildert: Füchse werden mit der Kiste, die sie als ihren Bau ansehen, in den Wald ausgesiedelt und bekommen dort noch einige Wochen ihr vertrautes Menü von Schelles Homeservice geliefert. Nur ausnahmsweise gibt er ein Wildtiere in private Hände ab: So konnte ein Fuchs, der nach einem Beinbruch hinkte, bei einer Familie in Gilching untergebracht werden, die bereits einen dreibeinigen Artgenossen als Haustier hielt.

Auch der Turmfalke in der Voliere kommt bald frei: Ein Förster hatte ihn durchnässt und ausgehungert gefunden. Nachdem der Vogel wieder bei Kräften ist, will ihm Schelle schon bald Starterlaubnis erteilen. Danach warten auf ihn noch eine Zeitlang Leckerbissen im Garten - an einem katzensicheren Ort. Früh auf den Menschen geprägte junge Raubvögel seien die treuesten Kunden: Wenn sie angeflogen kommen und um Futter betteln, bereitet das Wiedersehen Schelle besondere Freude.

Dem stehen die traurigsten Momente gegenüber, wenn ein zu schwer verletztes Tier doch eingeschläfert werden muss: "Wenn es unheilbar ist, behalt ich es nicht lebenslang im Knast." Für die Ricke, die unter einem zunächst unbemerkten Wirbelsäulendefekt leidet, hat Schelle eine Ausnahme gemacht: "Jetzt hab ich halt seit einem Jahr ein behindertes Reh."

© SZ vom 07.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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