Kommentar:Augenwischerei auf Augenhöhe

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Der Stadtrat beschäftigt sich wieder einmal mit Starnbergs Lieblingsthema, dem Tunnel

Von Peter Haacke

Es ist die Sehnsucht der Menschheit, als Gesprächspartner "auf Augenhöhe" wahrgenommen zu werden. Im sozial-psychologischen Kontext wird die vertikale Positionierung der Augen oft mit gesellschaftlichem Status und Selbstwertgefühlen verbunden: In existenziellen Situationen verlangen Menschen das Gespräch "auf Augenhöhe", sie wollen ihrem Gesprächspartner gegenüber ebenbürtig und gleichberechtigt sein. Das setzt allerdings annähernd gleiche Sach- und Fachkenntnisse voraus, das Gefälle darf nicht zu groß sein.

In Starnberg hat sich nun die absurde Situation ergeben, dass die Allianz der Tunnelgegner - seit 2015 mit knapper Mehrheit im Stadtrat - ihre nebulösen Pläne für mittlerweile 13 Umfahrungsvarianten mit dem seit Jahren planfestgestellten B2-Tunnel "auf Augenhöhe" verglichen haben will. Dazu wurde am Montag auf Antrag der WPS mithilfe von BMS, BLS und FDP ein Beschluss durchgepeitscht, der kaum Sinn ergibt: "Alle zustimmenden Beschlüsse des Stadtrates zum planfestgestellten Projekt B2-Tunnel sind solange auszusetzen, bis ein Realisierungskonzept für die verkehrliche Entlastung vom Stadtrat beschlossen ist." Nach Interpretation der Anti-Tunnel-Allianz wähnt man sich damit nunmehr "auf Augenhöhe" zum B2-Projekt, das nach aktuellem Stand die einzig realisierbare Lösung für Starnbergs Verkehrsproblematik darstellt.

Tatsächlich ist dieser Beschluss lediglich ein Akt der Hilflosigkeit. Seit Amtsübernahme von Bürgermeisterin Eva John im Frühjahr 2014 hat die Allianz allen Verheißungen zum Trotz bislang nichts zustande gebracht, was Starnbergs Verkehrsprobleme auch nur im Ansatz lösen wird. Im Gegenteil: Fragen zur Machbarkeit und zu rechtlichen Voraussetzungen für eine Umfahrung sind weiterhin unbeantwortet, Gespräche mit relevanten Entscheidungsträgern werden gemieden. Stattdessen wurde ein Verkehrsentwicklungsplan beauftragt und ein bisschen herumexperimentiert.

Dabei hat die Allianz - nicht allein im Hinblick auf den Verkehr - ihre wahren Ziele längst erreicht: Stillstand und Verhinderung. Insofern ist der jüngste Beschluss ein Signal, der seine fatale Wirkung allein im Bundesverkehrsministerium entfalten wird. Der Umfahrungs-Klientel dagegen streut man weiter Sand in die Augen, was zwar zu Augenwischerei führt, letztlich aber doch nur grandiose Zeitvergeudung darstellt. Auf Augenhöhe aber wird man Tunnel und Umfahrung nie verhandeln können, solange man Fakten ignoriert.

© SZ vom 27.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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