Kabarett in Krailling:Zeitreise mit Chuzpe

Lesezeit: 2 min

Der Münchner - die "Krone der Evolution": Kabarettisten und Moderator Christoph Süß und seine Band begeistern das Publikum im Kraillinger Schabernack.

Patrizia Steipe

Und dann steckte er sich noch seelenruhig eine Zigarette an. Im Veranstaltungsraum des Kraillinger Schabernacks. Mitten im Bayern. Schärfstes Rauchverbot. Das Aufheulen im Publikum ob der Chuzpe teilte sich in Bewunderer, die am Schluss des Konzerts von Christoph Süß gerne selbst Eine gepafft hätten und Entrüstete, die angesichts des gesteckt vollen Raums um das letzte Quäntchen Atemluft fürchteten. Aber, mal ehrlich, cool war das schon. Eine kleine Rebellion.

Christoph Süß bei einem Auftritt, Archivbild 2010 (Foto: Peter Bauersachs)

Spätestens da konnten all die Besucher, die Süß bisher nur als Kabarettisten und Fernsehmoderator kannten, ahnen, warum sich der 42-Jährige das antut: Auftritte in überhitzten Räumen, umgeben von Menschen, die essen, trinken, schwatzen und den Rhythmus falsch mitklatschen. Vielleicht ist es für ihn einfach so etwas wie eine Zeitreise, ein Jungbrunnen, die an Zeiten anknüpfen, als der kleine Gymnasiast Christoph als Sänger in einer Rockband aufgetreten war.

Aber Süß hat sich weiterentwickelt. Heute brillierte er mit seiner Band nicht nur als Rocker, sondern er deklamierte zwischen Heavy Beats und Liedermacher-Balladen noch kleine philosophische Abhandlungen, bei denen es à la Eugen Roth beispielsweise hieß: "Das Leben ist nicht große Taten ... das Leben ist auf Besserers warten und das kleine Glück im Klo." Ob das alles zusammenpasste. Erstaunlicherweise sogar gut. Zugegeben, die Themen der Lieder waren nicht neu: Die Bussi-Gesellschaft, die koksende Schickeria, die Arroganz der Schönen, Reichen, Erfolgreichen - da ließen Fendrich, Falco, Wecker, Lindenberg und Co. grüßen. Süß sang über das männliche Zeugungsorgan "den Mercedes unter den Geschlechtsorganen", über die Vergänglichkeit "ich zähle 1, 2, 3, schon wieder Lebenszeit vorbei" und über den Münchner, die "Krone der Evolution".

Er ließ eine Wasserleiche auftauchen, die endlich die Aufmerksamkeit errang, die sie sich zu Lebzeiten gewünscht hatte, ließ ein unscheinbares Mädchen klagen, dass einfach nicht ankommt und dichtete das "Vater unser" auf seine Weise um: "Unser Markt, der du bist im Wachstum, geheiligt werde die Rendite, Dein Reichtum komme, wie in Luxemburg, so auch auf den Cayman Islands..."

Dabei unterstrich Süß die Lieder pantomimisch mit grotesken Bewegungen und mit einem intensiven Minenspiel, bei dem er seine Augen rollen ließ, die Brauen hochzog, die Augen immer wieder schloss, um sie dann groß aufzureißen - Schauspieler halt. Aber Süß hatte mehr im Repertoire. Gab mal den Kabarettisten, der mit seinen rabenschwarzen Texten schmerzlich traf, dann den tiefsinnigen Liedermacher mit softer Stimme, Klampfe und Weltschmerzgedanken, aber auch den alten Rocker mit whiskeyrauem tiefen Bass.

Dabei war Süß kein ichbezogener Selbstinszenierer, der im Mittelpunkt stehen und gefeiert werden wollte. Immer wieder trat er einen Schritt zurück, stellte sich sogar zwischen die Zuschauer, um seiner Band die Zeit und den Raum zu geben, sich ungehindert zu entfalten und zu spielen, spielen, spielen. Zu Recht. Luke Cyrus Goetze (Gitarre), Ulli Linzen (Klavier), Ludwig Leininger (Bass) und Wolf Wolff (Schlagzeug) waren einfach richtig gut. Leider gabs nur eine Zugabe. Dafür am Ausgang die Möglichkeit CDs und Bücher zu erwerben. Allen philosophischen Betrachtungen zum Trotz: Ein wenig Kommerz musste einfach sein.

© SZ vom 04.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: