Heute: Leutstetten, Folge 2:Gutshof mit Fußbodenheizung

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In der Villa rustica im heutigen Leutstettener Moos verbrachte der Offizier einer römischen Reitereinheit seinen Ruhestand. Frieren musste der gebürtige Portugiese aber im kalten bayerischen Winter nicht

Von Otto Fritscher

In einem gläsernen Pavillon sind die Relikte des römischen Gutshofes eingehaust.

Gefunden wurden Schalen, eine Schreibtafel und der Schlüssel zum Haus.

Für den Unterhalt der Villa sorgt der Verein von Hansjörg Hägele.

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Kopie des Grabsteins.

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(Foto: Georgine Treybal)

Die Schlosswirtschaft in Leutstetten lädt zur Einkehr ein.

Da muss noch mehr sein." Hansjörg Hägele war sich dessen sicher, als er mit einem Grabungsteam die Überreste eines römischen Gutshofs im Moos bei Leutstetten freilegte. Das war im Verlauf des Jahres 2002, und langsam wurde allen Beteiligten klar, dass es sich hier um die Relikte eines kompletten Gutshofs, lateinisch: Villa rustica, aus römischer Zeit handeln muss. Für 2003 waren die ersten Führungen geplant, aber die Einheimischen hegten Sorge, dass sich rund um die Villa ein Touristenrummel samt Busparkplatz einstellen könne. Wände wurden beschmiert, es gab böses Blut. "Bis dann im Dezember 2003 das Friedensangebot kam", erinnert sich Hägele: ein rotes Band mit Schleife um das Haus.

Zur eigentlichen Villa mit dem Wohnraum und der Fußbodenheizung gehören auch Vorratsräume, Ställe und andere Nebenräume, die nicht freigelegt wurden. Der eigentliche Wohnraum mit der gut sichtbaren Fußbodenheizung ist dafür in eine "Vitrine", wie Hägele sagt, eingehaust. An den Glaswänden rundum sind Erklärungen angebracht. Eine pfiffige Idee.

Hägele, studierter Mathematiker, hat sein Arbeitsleben bei IBM verbracht, aber seine Leidenschaft ist die Archäologie. Seit 1996 hat er in Gauting, das die Römer Bratanium nannten, an Grabungen teilgenommen, die meistens sehr schnell gehen mussten, weil auf dem Grundstück ein Haus gebaut werden sollte. Unzählige Funde, zum Beispiel in Syrien und Spanien geprägte Münzen, wurden dort entdeckt.

Aber auch der Gutshof selbst hat vieles preisgegeben. Das Besondere: eine Fußbodenheizung, lateinisch Hypocaustum, die auch im Winter behagliche Temperaturen von rund 21 Grad ermöglicht hat. Die römische Fußbodenheizung funktionierte so: Vor der Hütte wurde ein Feuer angefacht, die Abluft durch einen Hohlraum unter die zu beheizenden Räume geleitet, wo sie durch Hohlziegel nach oben strömte. "Das Hypocaustum wurde mehrfach umgebaut", sagt Hägele. Zunächst hatte man die Feuerstelle auf der Ostseite errichtet, wodurch die Abluft nicht in den Innenraum, sondern von der Hütte wegströmte. Erst dann wurde der Schürplatz im Westen angelegt, angepasst an die vorherrschende Windrichtung.

Doch woher wissen die Forscher, wann der Gutshof bewohnt und bewirtschaftet war? Im sechs Meter tiefen Brunnen neben dem Haus waren unten die Brunnenhölzer im Wasser gelegen, die Leutstettener Feuerwehr pumpte den Brunnen leer, und mit der dendrochronologischen Methode wurde festgestellt, dass die Bäume, Eichen, zwischen 135 und 138 nach Christus gefällt worden waren. Und dann ist da noch der Abdruck eines Grabsteins zu sehen, das Original wurde im Leutstettener Kirchlein im Dorf entdeckt, etwa einen Kilometer entfernt. Julius Publius Pintamus entstammte dem heutigen Braga in Nordportugal, er war Offizier (Decurio) einer Reitereinheit und hatte zu den römischen Hilfstruppen gehört. Man vermutet, dass der Soldat auch in Britannien im Einsatz war, was man an der in Bayern seltenen Form des Gutshofs erkennt. So wurden sie normalerweise in Britannien gebaut.

Mit 45 Jahren schieden Offiziere aus dem aktiven Militärdienst aus, und konnten sich entweder - heute würde man sagen - eine Abfindung auszahlen lassen - oder Grund und Boden für einen Alterssitz erhalten. Dafür entschied sich Pintamus, und er wählte den damals schon landschaftlich außerordentlichen Platz auf einem kleinen Hügel, mit Blick zu den Bergen und über den Starnberger See, und nur sechs Kilometer von Gauting entfernt, so dass problemlos überschüssige Güter verkauft wurden und das eingekauft werden konnte, was man mit Landwirtschaft und Viehhaltung nicht selbst herstellen konnte. "Dem Kerl hat der Standort aus irgendwelchen Gründen gefallen", sagt Hägele und lacht.

Getreide, Gemüse, Rinder- und Hühnerknochen wurden im Brunnenschacht gefunden, dazu Schalen - und als wertvollstes Stück - eine Schreibtafel mit Radierstift, dazu insgesamt 470 Münzen. Auch der Hausschlüssel wurde im Brunnen gefunden. Ausgestellt ist in der Villa heute nur eine Replik davon, nicht der Originalschlüssel. Insgesamt lässt die Ausstattung aber einen Rückschluss zu: "Der Typ hatte Geld", sagt Hägele. Worauf die Wandbemalung in pompejanischem Rot und Grün schließen lässt.

Die Gattin des Reiteroffiziers, Clementia Popeia, hat die Informationen über das Leben ihres Mannes, "des besten aller Gatten", wie es doppeldeutig auf dem Grabstein heißt, einmeißeln lassen, von Kindern ist nicht die Rede, was darauf schließen lässt, dass das Ehepaar kinderlos war. Das Grab des Gutshof-Besitzers wurde in der Nähe des Ortseingangs von Leutstetten gefunden. Die Villa rustica war vermutlich 50 Jahre bewohnt und wurde dann aus unbekannten Gründen aufgegeben. Die Stadt Starnberg ist für den Unterhalt des Gutshofs zuständig. Probleme bereiten die Temperaturunterschiede: Im Sommer sind es schon mal mehr als 35 Grad im Innenraum, im Winter kann Frost herrschen. Nächstes Jahr soll eine Verschattungsanlage - eine Art automatisch ausfahrendes Rollosystem - eingebaut werden. "Wir nehmen die römischen Zeugnisse in unserem Stadtgebiet sehr ernst", sagt Kulturamtsleiterin Annette Kienzle. Auch der Umgriff werde instand gehalten.

Der Verein kümmert sich intensiv um den laufenden Unterhalt der Villa rustica, bietet Führungen an. Jede Woche kommt ein Vereinsmitglied mit einer Checkliste, die von Fenster putzen über Unkraut jäten bis zur Prüfung, ob das Dach noch dicht ist, reicht. Rund zehn Leute des Vereins für Archäologie im oberen Würmtal beteiligen sich aktiv am Unterhalt der Villa. Besonders erfreut zeigt sich Hägele, dass es zu keinem Vandalismus gekommen ist, kein Müll herumliegt und die Glaswände auch nicht mit Graffiti beschmiert wurden. "Das war damals meine Idee, keinen Papierkorb aufzustellen, damit die Leute ihren Abfall wieder mitnehmen", sagt Hägele schmunzelnd.

Hansjörg Hägele ist mit dem Zustand des Gutshofs und der Besucherresonanz sehr zufrieden. Einen Wunsch hätte er allerdings noch: "Eine neue Grabung im Umfeld wäre sehr schön." Denn: "Diese Villa rustica ist der einzige komplette Fund in der gesamten S-Bahn-Region. Und sie birgt bestimmt noch mehr Geheimnisse."

Führungen werden von Mai bis Oktober immer am ersten Sonntag im Monat um 15 Uhr angeboten. Also auch am Samstag, 3. September. Sonstige Führungen, auch für Schulklassen, sind nach Absprache mit dem Kulturamt der Stadt Starnberg (Tel. 08151/772-110) möglich.

© SZ vom 30.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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